Köln ­— Umsteigen bei Regen — Der Schnäuzer sitzt: Andrew Collberg, © Niclas Weber

Graues, graues Deutschland

Der aus Tucson stammende Kölner Multi­instrumentalist Andrew Collberg läuft auf ­seinem sechsten Album zur Hochform auf

Seit Tagen zieht ein Ohrwurm wie ein Mantra in Schleifen durch meinen Hinterkopf: »Grey, grey Germany / in the checkout line ­today / grey grey grey / and every single face / grey grey grey …«.

Die Nummer — ein eingängiger, verschleppter Indiefolksong mit zuckersüßem,  harmonischem Schmelz — ist der Eröffnungstrack des neuen Albums »Popcorn Graveyard« von Andrew Collberg. Der Songwriter und Multiinstrumentalist stammt eigentlich aus Tucson/Arizona, lebt aber seit acht Jahren in Köln und hat bereits fünf Alben bei hiesigen Labels veröffentlicht — drei bei Le Pop und zwei bei Papercup Records. Von diesen Alben hatte ich bislang nur am Rande mitbekommen, aufgefallen war mir jedoch, dass in dieser Stadt seit ein paar Jahren bei zahlreichen Projekten (zum Beispiel Faira, Tom Ashforth oder Albert Luxus) ein cooler, schnauzbärtiger Typ als Schlagzeuger oder Bassist mit von der Partie ist, der der Kölner Indieszene allein durch seine ­bloße Präsenz eine Prise Weltläufigkeit verleiht. Was den wohl vom sonnigen Arizona ins graue Germany ­geführt haben mag?

So trostlos wie im Song beschrieben findet Andrew Collberg es hier jedenfalls gar nicht: »Kein Ort ist perfekt und Deutschland ist ja immerhin meine neue Wahlheimat. In dem Song geht es mir eher um das buchstäbliche Grau Deutschlands — die urbane Landschaft, die Kleidung, die Farbtöne des Himmels während der Wintermonate. Dieses Grau durchdringt uns alle und wir verhalten uns wie Arschlöcher. Mit etwas Farbe und Fröhlichkeit könnte dem ­entgegengewirkt werden.«

In Köln gelandet ist Andrew, weil er seinerzeit als Drummer verschiedener, aus Tucson stammender Le-Pop-Acts immer wieder hier Station gemacht hat, sich irgendwann in eine Kölnerin verliebt hat und dann einfach geblieben ist: »Köln hat ähnlich viele Einwohner wie Tucson, das find ich gut. Wenn eine Stadt zu groß ist, fühl ich mich ein bisschen verloren. In kleineren Städten ist es einfacher, Beziehungen zu knüpfen.«

Ich bin vielleicht von der Vergangenheit beeinflusst, doch ich muss sie nicht ­wiederholen
Andrew Collberg

Inzwischen ist er nicht mehr aus der Kölner Indieszene wegzudenken — sein Album »Popcorn Graveyard« hätte es allerdings ­verdient, zu einem globalen Erfolg zu werden! Es überzeugt durch exzellente Songs, die auf Anhieb zünden, und vielschichtige, fantasievolle Arrangements, deren Wirkung sich mit jedem Hören mehr entfaltet. Eigentlich der Stoff, aus dem Klassiker gemacht sind: Man hört die Beatles heraus, die Beach Boys, Vintage-verliebte Nuller-Jahre-Acts wie Grizzly Bear oder Vampire Weekend, die 90er-Jahre Indiefolk-Legende Elliott Smith. Und doch hat Andrew mit purem Traditionalismus wenig am Hut: »Ich bin vielleicht von der Vergangenheit beeinflusst, doch ich muss sie nicht wiederholen. Natürlich wollte ich anfangs so ­klingen wie die Bands, die mich geprägt haben, doch heutzutage finde ich das immer weniger attraktiv. In den letzten Jahren hat mich aktuelle und ältere französische Musik stark beeinflusst — und generell Soundtracks. Auch diese Musik stammt oftmals aus der Vergangenheit, doch für mich ist sie neu und hat irgendwie ­etwas Frisches.«

Die Arrangements sind in Zusammenarbeit mit dem dänischen Produzenten Mikkel Mohr entstanden, wobei darauf geachtet wurde, zunächst einmal die Songs mit ­Piano und Akustikgitarre so weit wie möglich auszufeilen und dann erst mit der Produktion am Computer zu beginnen: »Diese Arbeitsweise gefällt mir sehr, da man nicht ­direkt von Bling-Bling abgelenkt wird. Wenn man den Computer anfangs aus dem Spiel lässt und die Grundlagen stehen, kann man die Songs hinterher ja immer noch auf jede erdenkliche Weise versauen.«

Auch textlich nimmt er neue Perspektiven ein. Während es ­früher eher um Befindlichkeiten und Selbstbespiegelung ging, möchte er inzwischen lieber Geschichten über Menschen und ­Situationen erzählen: » ›Young Blood, Fresh Leather‹, wirkt z.B. erstmal wie eine süße, gefühlvolle Ballade, handelt aber von einem gruseligen alten Mann, der den ­Jugendlichen das Leben aussaugen möchte.« Eines hat Andrew Collberg mit »Popcorn Graveyard« auf jeden Fall geschafft: dem ­allgegenwärtigen Grau eine ­ge­hörige Portion Buntheit entgegenzusetzen!  

stadtrevue präsentiert:
Konzert: Sa 23.3., Papercup Labelnight mit Andrew Collberg & Der Assistent, Arty Farty Gallery, 20 Uhr
Tonträger: Andrew Collberg, »Popcorn Graveyard«, (Papercup Records / Rough Trade) erscheint am 22.3.