Fantasy-Literatur der schlechten Sorte: »Köln — wie geht das?«, Foto: Dörthe Boxberg

Fantastisches Köln!

Stadt und Bachem-Verlag drängen Kindern und Lehrern ihr Köln-Buch als Schullektüre auf. Eine Polemik

Kinder — das läuft immer, das wissen abgebrühte PR-Menschen. Also setzt man bei einer Pressekonferenz für ein Schulbuch Drittklässler in den Ratssaal. Die Stadt Köln und der Bachem-Verlag haben soeben »Köln — Wie geht das?« veröffentlicht. Es soll Acht- bis Zwölfjährigen die Stadt erklären und demnächst als Schullektüre dienen, die rechtlichen Hürden sind genommen. In den kommenden drei Jahren wird diese redaktionell aufgemotzte Werbebroschüre in jeweils 100.000 Exemplaren an Schüler und Lehrer verschenkt. Dazu passt nicht nur der marktschreierische Ton und das PR-Vokabular, auch gestalterisch orientiert man sich an der Reklame von Möbelhäusern, Baumärkten oder Pizza-Lieferdiensten: Hauptsache, die Seiten sind voll und bunt. Wer glaubt, solch eine ästhetische Verwahrlosung sei kindgerecht, hat schon lange keine gute Kinderliteratur in der Hand gehabt.

 

Um zu beweisen, wie ernst man Kinderinteressen nehme, sollte ein Hauch von Jugendbeteiligung durch den Saal wehen. Doch dieses laue Lüftchen war bloß partizipatorisch parfümiert. Die Kinder im Ratssaal durften den hochrangigen Vertretern der Stadt, der städtischen sowie »stadtnahen Unternehmen« Fragen stellen: Wie viele Flugzeuge landen täglich in Köln? Welches Tier ist das älteste im Zoo? Boah! Vielleicht möchten Kinder so etwas wissen, aber vielleicht würden sie gern auch mehr wissen, wenn man sie dazu ermunterte — aber Konflikte sollte es weder bei der Buchvorstellung noch im Buch selber geben. »Köln — Wie geht das?« soll Köln erklären, aber Köln kommt hier gar nicht vor — sondern bloß eine fiktive Stadt gleichen Namens. Dort gibt es keine Wohnungsnot, keinen Kita- und Schulnotstand, keinen Verkehrskollaps. Es gibt keine Konflikte. Deshalb ist das Buch so öde. Es wimmelt von kölschen Superlativen und kurzen Unternehmensprofilen aus dem Stadtwerke-Konzern, vom 1.FC Köln, von DuMont sowie Lobbyverbänden wie der IHK. Ein Reigen von Erfolgsgeschichten. Polizei und Feuerwehr, Krankenhäuser und Abfallwirtschaftsbetriebe — alles tipptopp.

 

In Fantasy-Köln gibt es einen tollen Flughafen, aber keinen Fluglärm. Hier würde nie ein Stadtarchiv einstürzen. Es gibt auch vieles nicht, was Kinder jeden Tag sehen: weder Obdachlose vorm Supermarkt noch Drogensüchtige am Friesenplatz. Keine Flüchtlinge, die in Turnhallen leben müssen, ebenso wenig wie Willkommensinitiativen, die sich ehrenamtlich für sie einsetzen.

 

Die Stadtoberen beschwören sonst gern die Vielfalt Kölns. Dann ist von den Veedeln, den kleinen Vereinen, Initiativen und Ehrenamtlern die Rede. Aber sie kommen nicht vor in »Köln — Wie geht das?«. Köln geht ohne sie. Deshalb gibt es in Fantasy-Köln im Sport auch bloß FC und Haie — und keine unterklassigen Gurkentruppen wie Borussia Kalk oder SpVg Porz oder gar Breitensport ohne Rekorde. In Köln ist alles erste Liga!

 

Man ist »in guten Händen«, es gibt »starke Teams« und überall »Spezialisten«. Die Polizei geht »Auf Nummer sicher« und das Ordnungsamt ist »überall in der Stadt unterwegs«, und »ertappen sie jemanden, der sein Auto an einer verbotenen Stelle abgestellt hat, gibt es eine Strafe« — in Fantasy-Köln ist man viel weiter als im anderen Köln, in dem man Bürgersteige zuparken darf.

 

So geht das über mehr als hundert Seiten, auf denen die Stadt durch den weißen Mittelstand repräsentiert wird. Migranten und Arme kommen ebenso wenig vor wie Senioren oder Behinderte. Hier tummeln sich bloß verantwortungsvolle, erfolgreiche Wirtschaftskapitäne und hoch motivierte Mitarbeiter der Stadtverwaltung.

 

Nichts spricht gegen Fantasy-Literatur in der Schule — aber das Genre hat Besseres zu bieten als dieses Buch.

 

»Köln — Wie geht das?«, 112 Seiten,
J.P. Bachem, 16,95 Euro