Foto: Dörthe Boxberg

Geht doch! Fußgänger wollen ihre Stadt zurück -Teil 1-

Autofahrer gegen Fahrradfahrer — in Köln tobt der Straßenkampf.

Doch Fußgänger spielen in aktuellen Debatten keine Rolle. Spazieren­gehen oder Flanieren findet sich eher in der Weltliteratur als entlang der Kölner Straßen. Um dem Fußgänger auf die Spur zu kommen, haben Jan Lüke und Bernd Wilberg mit Politik, Verwaltung, Initiativen und einem Spaziergangsforscher gesprochen. Dörthe Boxberg hat in Bewegungsstudien verschiedene Fußgängertypen beobachtet. Denn Fußgänger, das sind wir alle

Die neue Bewegung

 

Mehr Fußgänger bedeuten mehr Lebensqualität in der Stadt.
Das könnte zum stärksten Argument gegen das Auto werden

 

Wie sähe Köln aus, wenn es keine Autos gäbe? Einmal im Jahr lädt Agora Köln zu einem Veedel-Utopia ein. Die private Initiative ist Organisator des »Tag des guten Lebens«. Der hat in den vergangenen Jahren in Ehrenfeld und Sülz Station gemacht, in diesem Sommer kommt er nach Deutz. Dann werden dort Straßen zu großen Gehwegen, die Anwohner gestalten den öffentlichen Raum. »Der Tag zeigt wunderbar auf, wie das Leben in den Veedeln aussehen und welche Möglichkeiten der begrenzte Stadtraum bieten könnte«, sagt Dirk Frölich aus der Mobilitätsgruppe von Agora. Man erlebe sein Veedel vollkommen anders, wenn man sich freier darin bewegen könne: besser.

 

Denn frei bewegen kann man sich an den 364 übrigen Tagen des Jahres kaum. Der öffentliche Raum ist, anders als in ehemaligen Residenzstädten wie Berlin oder München, knapp bemessen. Es tobt ein Verteilungskampf, in dem jeder das Gefühl hat, für ihn sei zu wenig von allem da. Auto- wie Radfahrer melden laustark Besitzansprüche auf den öffentlichen Raum an. Die Fußgänger waren bis jetzt merkwürdig still — doch das ändert sich gerade.

 

»Wir möchten eine andere Mobilitätskultur schaffen«, sagt Dirk Frölich von Agora. Wenn im vielbemühten »Modal Split« aus den verschiedenen Verkehrsmitteln mehr Menschen ihre eigenen Füße zur Fortbewegung nutzen würden, könnte das wiederum den Raum erweitern, der ihnen dafür zur Verfügung steht. Die Menschen, glaubt Frölich, werden die Aufenthaltsqualität schätzen lernen. Sie haben es nur vergessen, weil das Auto, lange protegiert vom Leitbild der Autogerechten Stadt und einer starken industriellen Lobby, ein Gewohnheitsrecht besitze. Ähnlich sieht es Franz Linder, der als Dienstleister für die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte (AGFS) arbeitet: »Wir brauchen Modellquartiere, in denen diese andere Perspektive auf Mobilität in der Stadt erlebbar wird.« Das könne von entscheidender Bedeutung sein. Mit Zwang werde auch die Politik nicht weiterkommen: »Der Umstieg auf andere Verkehrsmittel wird freiwillig passieren müssen.« Und dann würde er eine Positivspirale auslösen.

 

»Das Bewegen auf der Straße hat eine Qualität an sich«, sagt Agora-Sprecher Frölich. Ähnlich sieht es Andreas Hupke (Grüne), der Bezirksbürgermeister in der Innenstadt, die auf eine angenehme Atmosphäre besonders angewiesen ist. Viele Menschen verbringen dort ihre Freizeit. »Die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum hat entscheidende Bedeutung«, sagt Hupke, und denkt auch an Kölns Standing im Wettbewerb mit anderen Städten. »Das ist zu einem wichtigen Faktor geworden.« Den knapp fünf Quadratkilometern der innersten Innenstadt fehle sie: »Köln hat keine Wohlfühl-Innenstadt.« Köln als Fußgänger zu erleben, macht also keinen Spaß. Die Flanierqualität ist gering. Zu zweit nebeneinander plaudernd durch die City zu schlendern, ist nicht nur an Flaschenhälsen wie der Ehrenstraße oder Apostelnstraße unmöglich.

 

Nun hätte eine Stadt der Fußgänger viele positive Seiten. Doch besteht das Leben nicht nur aus arbeitsfreien Sonntagen, an denen man in der Sonne flaniert. Sondern auch aus dem Schichtdienst am Wochentag oder einem Wocheneinkauf für die fünfköpfige Familie. »Keiner will Häuser abreißen, alle Gehwege umbauen oder Autos verbieten«, sagt Dirk Frölich von Agora. Die Stadt aber wird besser früher als später Lösungen finden müssen, wie sie den motorisierten Individualverkehr sinnvoll reduziert. Die Dosis macht das Gift. In diesem Fall darf man das ruhig wörtlich nehmen.