Foto: Dörthe Boxberg

Geht doch! Fußgänger wollen ihre Stadt zurück -Teil2-

Mensch gegen Maschine

Wenn das Leben in der Stadt weiterhin funktionieren soll, müssen
sich mehr Menschen zu Fuß fortbewegen. Doch der Fußgänger
wird als Verkehrsteilnehmer in Köln nicht ernst genommen

 

Bei ihren »Stadtgesprächen« zur Bürgerbeteiligung bekommt OB Henriette Reker oft Briefe zugesteckt, fast immer sind sie von Einzelpersonen. Im März in Ehrenfeld aber bekam sie ein Schreiben von zahlreichen Initiativen überreicht. »Gehwege sind öffentlicher Raum, den Fußgängerinnen und Fußgängern vorbehalten, und kein privater Parkraum«, schreiben neben Agora Köln und Greenpeace auch der Asta der Universität und der Arbeitskreis Barrierefreies Köln. Sie alle sind nicht damit einverstanden, wie der Stadt- und Verkehrsraum aufgeteilt ist. Immer mehr Menschen bemerken, dass sie als Fußgänger deklassiert werden: durch Autofahrer, die vom Ordnungsamt geduldet auf Gehwegen parken, und durch eine Politik, die weder die Umweltverschmutzung durch Kraftfahrzeuge in den Griff bekommt noch Geschwindigkeitsbegrenzungen kontrolliert. Die Stadt, fordern nun die Initiativen, soll zurückgehen an die Fußgänger.

 

Für Aufsehen sorgte im November die Wählergruppe Deine Freunde. In der Bezirksvertretung (BV) Ehrenfeld beantragte sie, dass Bürgersteige endlich Fußgängern vorbehalten bleiben und nicht von Autos zugeparkt werden dürfen. Bei ihrem Einsatz für »barrierefreie Mobilität« und eine »Mindestduldungsbreite« von zwei Metern wurden Deine Freunde von den Grünen unterstützt (vgl. Stadt­revue 2/2017), in der Innenstadt schlossen sich im Februar SPD-Bezirkspolitiker dem Vorstoß an. Stadtspitze und Verwaltung ducken sich noch weg, die Politik im Stadtrat sind unschlüssig, ob und wie sie reagieren sollen. Doch in den Stadtbezirken brodelt das Thema. Auch in der BV Lindenthal. »Autos, die immer länger und wuchtiger werden, stehen mit der Schnauze weit auf dem Bürgersteig. Passanten können den Bürgersteig nicht mehr uneingeschränkt nutzen, das darf nicht sein«, sagt die dortige Bezirksbürgermeisterin Helga ­Blömer-Frerker (CDU). »Autos gehören auf die Straße«, sagt sie. »Das muss konsequenter kontrolliert werden.« Am 20. März beschloss die BV einstimmig, »dass die schwächsten Verkehrsteilnehmer die ihnen zugewiesenen Räume gefahrenfrei benutzen können.« Die Verwaltung solle Fußgängern »endlich zu ihrem Recht zu verhelfen.« Adressat dieser Beschwerden, wie sie aus den Bezirken kommen, ist auch OB Henriette Reker, die Chefin der Verwaltung. Zudem ist Stadtdirektor Stephan Keller gefordert. In seinem Dezernat ist das Ordnungsamt untergebracht, das für den ruhenden Verkehr zuständig ist. Doch was geschieht? Nichts.

 

Das Ordnungsamt praktiziert eine »kölsche Lösung«. Es macht einen Ermessensspielraum geltend und lässt den Falschparkern, etwa in Ehrenfeld oder Lindenthal, eine verbleibende Netto-Gehwegbreite von bloß 1,20 Metern durchgehen, oft sogar weniger. Das Ermessen sei »nicht willkürlich«, sondern »sachgerecht«, sagt Ordnungsamtssprecher Heribert Büth. Dieser »Opportunitätsgrundsatz« ist rechtlich haltbar, sorgt aber dafür, dass auf vielen Kölner Gehwegen kein Platz ist; vor allem nicht für die, die mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen unterwegs sind. Um die bisherige Praxis zu ändern, sagt Büth, brauche es einen Ratsbeschluss. Ratspolitiker widersprechen. Das Ordnungsamt möchte sich für die unbeliebte Entscheidung wohl die Legitimation aus der Politik einholen. Doch auch die scheut zurück. Autofahrer werden als eine große Wählergruppe betrachtet, mit der man lieber behutsam umgeht.
Wie heikel das Thema ist, bekam auch Andreas Hupke (Grüne) zu spüren. Der Bezirksbürgermeister der Innenstadt beschloss mit seiner BV im vergangenen November den Abbau öffentlicher Parkplätze am Straßenrand. Bis 2027 sollen 1400 Stellplätze in der Innenstadt verschwinden (vgl. Stadtrevue 1/2017), stattdessen sollen die Parkhäuser genutzt werden. Wie man das — bei einem vergleichsweise hohen Anteil von Wohnbevölkerung in der Kölner City — sozialverträglich regeln kann, ist unklar. Das Bewohnerparken kostet rund 30 Euro im Jahr, das Parkhaus mehr als 100 Euro — im Monat. Die Stadt müsste die Idee subventionieren. Im Rat polterten SPD und FDP in einer Aktuellen Stunde gegen den Vorstoß von Grünen, Linken und Deine Freunde. Der Beschluss habe gesamtstädtische Bedeutung, er sei daher nach der Gemeindeordnung unzulässig. Das prüfen nun Juristen. »Es ehrt uns, dass der Rat das so hoch hängt«, sagt Hupke. Es zeige aber auch, dass kein Umdenken einsetze hin zu modernen Mobilitätskonzepten. »Ich bin kein Autogegner«, sagt Hupke. »Aber der motorisierte Individualverkehr wird an Bedeutung verlieren.« Gerade in der Innenstadt, mit der hohen Dichte an Kulturstätten, Einzelhandel und Events, müssten Fuß­gänger Raum bekommen. Hupke sagt: »Über Jahrzehnte wurde der Verkehr für Autofahrer gemacht — das funktioniert nicht mehr.«

 

Für viele Fußgänger tut es das längst nicht mehr. Gerade für jene, die nur eingeschränkt mobil sind und sich weniger selbstsicher im Verkehr bewegen. »Bei vielen Senioren besteht mit zunehmendem Alter die Mobilität im Spaziergang«, sagt Heiko Nigmann, Sprecher der Kölner Seniorenvertretung. Leicht werde ihnen das nicht gemacht. »Die Gehwege sind eng und stehen voll«, sagt Nigmann, auch mit Radfahrern gebe es oft Probleme. Die Kölner Behindertenpolitik bringt ähnliche Argumente vor. Günter Bell, städtischer Behindertenbeauftragter, fordert: »Das Ordnungsamt muss dafür Sorge tragen, dass sich Menschen mit Behinderung in der Stadt ohne Einschränkung bewegen können.« Die Stadtarbeitsgemeinschaft Behindertenpolitik verlangte im März, der städtische Rechtsausschuss müsse prüfen, wie das Ordnungsamt das Gehwegparken ahnde.

Nicht nur Senioren, auch Kinder verunglücken überproportional häufig, wenn sie Fußgänger sind. Eltern jedoch gehen nicht auf die Barrikaden — sie setzen ihre Kinder ins Auto. »Elterntaxis« sind ein Verkehrsproblem, sie vermitteln Kindern zudem: Im Auto ist es sicherer als zu Fuß. Die Stadt möchte das mit Initiativen wie dem »Walking Bus« ändern, bei dem Kinder den Schulweg in Gruppen zu Fuß zurücklegen. »Wir müssen schon bei Kindern andere Mobilitätsmuster setzen«, sagt Barbara Möhlendick, Leiterin der Koordinationsstelle Klimaschutz im Umweltdezernat. Fußgänger seien aus klimapolitischer Sicht vorrangig zu betrachten. Die Stadt Köln kämpft darum, den Luftreinhalteplan einzuhalten und Stickoxide zu reduzieren. Jeder emissionsfreie Verkehrsteilnehmer ist bedeutsam — und damit jeder Fußgänger. »Erwachsenen, die gesund sind, sind drei Kilometer durchaus zuzumuten«, sagt Nicole Knaup, Sprecherin vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Dafür brauche es ein dichtes Fußgänger-Netz — mit mehr Zebrastreifen, Verkehrsinseln als Querungshilfen, Gehweg-Vorstreckungen an Kreuzungen.

 

OB Reker hatte angekündigt, den Autoverkehr von derzeit 40 Prozent auf ein Drittel am gesamten Verkehrsaufkommen zu reduzieren — es ist ein Grundsatz des Konzeptpapiers »Köln mobil 2025«. Das heißt umgekehrt: Zwei Drittel sollen die Bürger demnächst mit Fahrrad, ÖPNV oder eben zu Fuß zurücklegen. Ehrgeizige Ziele. Selbst wenn sie erreicht würden, nähme der Autoverkehr aber in absoluten Zahlen zu.

 

Verbesserungen seien für Fußgänger früher oft eingetreten, wenn sie sich den Raum zurückerobert hätten, sagt Jörg Frank, Fraktionschef der Grünen im Rat. Als Beispiele nennt er den Schillplatz in Nippes oder den Platz vor St. Agnes in der Nordstadt. »Das ist quasi Shared Space geworden.« Beschlüsse brauche es dennoch. »Die gibt es auch, aber die Verwaltung kommt mit der Umsetzung nicht hinterher.« Er spricht sich dafür aus, dass künftig die Bezirksvertretungen mehr entscheiden dürfen: »Die kennen sich vor Ort am besten aus.« Eine notwendige Änderung der Zuständigkeitsordnung soll bald vorgelegt werden. Tatsächlich konzentrieren sich viele Maßnahmen auf die Kölner City. »Hier ist der Druck am höchsten,und es ist auch die Visitenkarte der Stadt.«

 

»Wir müssen den Fokus mehr auf die Außenbezirke legen«, sagt Dirk Michel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Auch was Kontrollen betrifft: »Das heißt nicht nur Knöllchen verteilen, sondern auch Abschleppen.« Michel will das Thema angehen: »Da wird es einen Antrag zu geben.« Noch im April möchte er mit dem grünen Koalitionspartner sprechen. OB Reker und Verkehrsdezernentin Andrea Blome müssten sich der Problematik annehmen, sagt er. Anders sieht es Reinhard Houben (FDP). »Ich bin beim Parken an Gehwegen für eine italienische Lösung«, sagt der Verkehrspolitiker. »Wenn ab und an nur 1,20 Meter für Fußgänger freibleiben, lässt sich damit leben. Würden wir auch außerhalb der City Parkraumbewirtschaftung einführen, fielen etliche Parkgelegenheiten weg, zudem müssten Anwohner für die entsprechende Plakette zahlen — wohin aber mit den anderen Autos?« Susana dos Santos (SPD) denkt bei Fußgängern vor allem an Kinder und alte Menschen. Für sie müssten etwa auch kleine Wege beleuchtet werden. »Insgesamt geht es um Klarheit und Sicherheit«, sagt die verkehrspolitische Sprecherin. »Shared Space sehe ich skeptisch, eine klare Zuteilung im Straßenraum bietet hingegen eine verlässliche Sicherheit — auch für Seh- und Hörbehinderte.« Auch Reinhard Houben ist für eine klare Trennung von Gehwegen, Fahrrädern und Autos. Und auch Fußgänger müssten achtgeben: »Manche laufen durch die Stadt, als spazierten sie über die Sommerwiese.«

 

Perspektivisch aber wird die Stadt eine Idee entwickeln müssen zum Fußgänger im Verkehr. Während eine erstarkte Fahrradlobby der Stadt ein Radverkehrskonzept abtrotzte, kommen Fußgänger bloß als verkehrspolitische Restkategorie vor. Sie scheinen bloß dafür interessant zu sein, in Projektpräsentationen virtuell Straßen und Plätze zu beleben, um »Urbanität« und »Aufenthaltsqualität« zu versprechen. In der Verkehrspolitik sind sie die, die noch auf dem Weg sind — zum Auto, zum Fahrrad, zur nächsten KVB-Haltestelle. Doch die Stadt wird sich nicht mehr lange erlauben können, im Fußgänger keinen eigenständigen Verkehrsteilnehmer zu sehen.