Ahnungslos eingekesselt: Polizei und junge Männer an Silvester 2016, Foto: Andi Goral

Und jährlich grüßt das Murmeltier

Die Stadt Köln beginnt mit der Silvesterplanung — ohne die Ereignisse des letzten Jahres sorgfältig aufzuarbeiten

Hitzige Kontroversen sind im Rat der Stadt Köln eher selten, Jörg Detjen hat trotzdem eine ausgelöst. Mitte Mai trat der Fraktionsvorsitzende von Die Linke ans Mikrofon des Ratssaals und fällte ein Urteil über den Polizeieinsatz an Silvester 2016/2017: »Es war die falsche Antwort. Der Roncalliplatz war menschenleer.« Über 600 junge Menschen, meist mit dunklen Haaren und etwas dunklerem Teint, wurden in der Silvesternacht mehrere Stunden von der Polizei am Hauptbahnhof festgehalten. Amnesty International, der Kölner Flüchtlingsrat und der Kölner Runde Tisch für Integration hatten daraufhin der Polizei »Racial Profiling« vorgeworfen, in überregionalen Medien entspann sich eine Debatte über rassistische Polizeikontrollen. Die Kölner Politik feierte sich derweil für eine gelungene Silvesternacht — woran sich fünf Monate später nichts geändert hat. Keineswegs sei der Roncalliplatz »menschenleer« gewesen, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Rat. Ulrich Breite von der FDP wiederum warf Detjen vor, nicht an die »vielen, vielen Frauen« zu denken, die an Silvester 2015/16 Opfer sexualisierter Gewalt wurden.

 

Was hatte Detjen gefordert, um diese Reaktion zu provozieren? Gemeinsam mit der SPD hatte die Linke einen Antrag für »ein kulturelles und künstlerisches Rahmenprogramm für die Silvesternacht 2017/2018« eingebracht. Die schwarz-grüne Ratskoalition wollte nämlich den Finanzrahmen für die nächsten drei Silvesterfeierlichkeiten festlegen. Für rund 400.000 Euro im Jahr soll ein externer Dienstleister ein Sicherheits- und Verkehrskonzept erstellen und es so umsetzen, wie dies bereits zum Jahreswechsel 2016/17 geschehen ist — samt Absperrungen und Feuerwerksverbot rund um den Dom. Die Maßnahmen hätten nicht nur in Köln, sondern »auch weltweit große Beachtung und eine positive Resonanz« gefunden, so die Begründung der Stadtverwaltung. Die jungen Männer seien »ohne ersichtlichen Grund« festgehalten worden, fand dagegen Jörg Detjen und regte an, »die gesellschaftlichen Grundlagen« dieses Konflikts ins Auge zu nehmen. Dabei helfen könne das Forum Ziviler Friedensdienst, so Detjen. Sein Antrag wurde vertagt.

 

Die von Parteien, Verbänden und Bistümern getragene Organisation mit Sitz in Ehrenfeld unterstützt Kommunen dabei, Konflikte im Bereich des Strukturwandels oder der Migration abzumildern. Für Silvester habe man bislang noch keinen Auftrag erhalten, erklärt Sprecher Christoph ­Bongard. »Deshalb können und wollen wir auch keine Ratschläge erteilen, was man dort tun könnte.« Jeder Prozess der Konfliktbewältigung dauere ein bis zwei Jahre, erläutert Bongard. Die Organisation führt Interviews mit allen Beteiligten und entwickelt daraufhin gemeinsam mit ihnen ein Handlungskonzept.

 

Bislang ist jedoch wenig über die vor dem Bahnhof eingekesselten jungen Männer bekannt. Kurz nach Silvester hatte der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies eine Sonderkommission eingesetzt, die recherchieren sollte, von wo die jungen Männer nach Köln gereist und was ihre Pläne für den Abend gewesen sind. Im Januar gelangten erste Ergebnisse an die Öffentlichkeit. Köln eile sein Ruf als Eventhauptstadt voraus, es werde von den Jugendlichen als »einzig wahre Metropole in Mitteleuropa wahrgenommen«, gab Carsten Dübbers von der Polizei Köln dem KStA zu Protokoll. Bereits vorher musste die Polizei sich korrigieren. In der Silvesternacht twitterte sie von hunderten »Nafris« am Bahnhof, bei einer internen Überprüfung kam danach heraus, dass Iraker, Syrer, Afghanen und Deutsche die größten Gruppen unter den Kontrollierten ausmachten. Wann die endgültigen Ergebnisse ihrer Untersuchung veröffentlicht werden, kann die Polizei Köln bis heute nicht sagen.

 

Mehr Details sind dagegen über den Einsatz der Bundespolizei bekannt, die an Silvester die Sicherung des Bahnhofsinneren vorgenommen hat. Als Antwort auf eine kleine Umfrage der grünen Bundestagsfraktion erkärte die Bundespolizei, dass sie insgesamt 900 Platzverweise, davon 300 in Deutz, ausgesprochen habe. Die Nationalität wurde hierbei nicht erfasst. Insgesamt wurden 1288 Personen kontrolliert. Beide Polizeibehörden sprachen nach Silvester von einer »aggressiven Grundstimmung« im Bahnhof. Die Bundespolizei registrierte bis Ende April acht Strafanzeigen mit insgesamt 24 Tatverdächtigen. Darunter befindet sich eine Anzeige wegen Widerstand gegen einen Vollstreckungsbeamten, eine wegen Waffenbesitz und eine weitere wegen Beleidigung. In allen Fällen besaßen die Tatverdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit. Für eine Strafanzeige wegen sexueller Belästigung wurde eine Person aus Guinea-Bissau als Tatverdächtiger ermittelt.

 

Mit konkreten Plänen für die Silvesterfeierlichkeiten hält sich die Politik bislang zurück. »Ich wollte mit meiner Rede einen Prozess anstoßen«, erläutert Jörg Detjen, »etwa für ein interkulturelles Fest an Silvester«. Jörg Frank von den Grünen sieht zumindest letzteres bereits gegeben: »Die Oberbürgermeisterin hat schon letztes Jahr einen Chor mit Geflüchteten auftreten lassen.« Auch für den Jahreswechsel 2017/18 wolle man möglichst viele Milieus der Stadtgesellschaft ansprechen, so Frank. Wie das aussehen soll, wird man erst im September erfahren. Dann will die Verwaltung ihre Pläne für die kommende Silvesternacht vorstellen.