Untermieter gesucht und gefunden

Eintausend Quadratmeter Kunst: Haus Mödrath in Kerpen

erwacht aus dem Dornröschen-Schlaf

Als erstes wird man von den Vögeln empfangen, die das Waldgebiet unweit der A4 zwischen Köln und Aachen mit ihrem Gesang erfüllen. Zwischen Bäumen und Wiesen liegt etwas versteckt »die Burg« — so wurde das alte Herrenhaus von den Anwohnern früher genannt. Haus Mödrath, ein neuer Ort für Kunst, beeindruckt schon allein durch seine Geschichte.

 

Als einziges Relikt des mittelalterlichen Ortes Mödrath, der in den 50er Jahren dem Braunkohleabbau geopfert wurde, war das Haus um 1900 nicht nur das erste im Landkreis mit Elektrizität: Hier wurde 1928 der Komponist und Begründer der elektronischen Musik Karlheinz Stockhausen geboren, als das Haus ein Wöchnerinnenheim war. Es folgten wechselhafte Jahre, Nazi-Schulungsheim, nach dem Krieg ein Haus für Flüchtlingsfamilien, dann Kinderheim und in den 80ern, als von der gesamten Gemeinde Mödrath nichts mehr übrig war als ein Tagebau, ein luxuriöses Privathaus mit Marmorbädern und Tennisplatz.

 

Seit 2014 wird es von einem leidenschaftlichen Sammler und Kunstliebhaber, der anonym bleiben möchte, als Stiftung betrieben. Im April 2017 wurde »Haus Mödrath — Räume für Kunst«, stilvoll renoviert und bis unter das Dach besetzt mit Kunst, parallel zur Art Cologne erstmals für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Künstler sollen an diesem Ort das realisieren können, was ihnen wichtig ist, schreibt der Hausherr im Katalog. Veit Loers, ehemaliger Direktor des Museum Abteiberg Mönchengladbach, der mit der kuratorischen »Ersteinrichtung« betraut war, ergänzt: »Das Haus ist keine Kunsthalle, und es wird auch keine!«

 

Für seine Eröffnungsausstellung »Aftermieter«, ein veraltetes Wort für Untermieter, hat Loers 28 KünstlerInnen eingeladen, die Räume temporär mit ihren Werken zu beziehen. Die Verbindungen zwischen Natur und Kultur, Natur und Haus und Natur und Gesellschaft ziehen sich dabei wie ein roter Faden durch die teils für den Ort neu geschaffenen Arbeiten.

 

Allerlei Kreaturen, Mischwesen und menschliche Figuren, oder vielmehr die Spuren, die sie hinterlassen, bevölkern die 1.000 Quadratmeter, die sich in einem Rundgang vom Souterrain bis zum Dachboden begehen lassen. Die grüne Idylle wird dabei schnell gebrochen. Schon von draußen wird man nichtsahnend von einer so schönen wie gespenstischen Frauenfigur von Kai Althoff hinter einem Fenster erschreckt. Als Kopf trägt sie eine Schirmlampe, ein Puppen-Knabe versteckt sich in ihrem Kleid, sein Kostüm verortet ihn irgendwo zwischen Biedermeier und Industrialisierung, als das Haus erstmals in elektrischem Licht erstrahlte. Gleich neben dem Eingang wartet in Ed Atkins’ Videoinstallation ein Avatar, der als digitale Kreatur ziellos einen weißen entmaterialisierten Raum durchwandert. Die Bücher, die in seinem computergenerierten Bücherregal stehen, finden sich als irritierendes Déjà-Vu im Obergeschoss des Hauses wieder — was ist hier echt, was künstlich? Wo endet der reale Raum und beginnt der virtuelle?

 

Im oberen Geschoss werden die Decken niedriger und die Kunst, so Veit Loers, hat sich hier eher dem Visionären und Halluzinatorischen verschrieben. Dem Autisten Adolf Beutler, der sein Leben in Nervenkliniken verbrachte, ist ein kleines Kabinett im Flur zugeteilt worden: an der Wand hängen von oben bis unten mit bunten Rasterstrukturen bekritzelte Blätter, die sich auf dem Schreibtisch über allerlei Notizhefte und Holzblöcke fortziehen, als ginge es darum, jeden Millimeter mit Mustern zu füllen. Rein formalistisch finden sich hier Bezüge zu den Gitterstrukturen von Günter Förgs Bildern eine Etage drunter.

 

Solche assoziativen Sprünge und Querverbindungen lassen sich beim Rundgang immer wieder aufspüren. Was auch damit zusammenhängt, dass die BesucherInnen, wenn sie nicht vorher den Katalog kaufen, ganz auf ihre eigenen Interpretationen zurückgeworfen sind — weder Wandtexte noch didaktischer Führer erläutern die Hintergründe, wohl aber Kunstvermittler, die in allen Etagen für Fragen bereitstehen.

 

Werke von unbekannteren und jungen KünstlerInnen wie Mary-Audrey Ramirez oder Neïl Beloufa treffen auf große Namen wie Franz West, Georg Herold oder Andreas Slominski. Unterm Dach endet der Rundgang mit einer eindrücklichen Rauminstallation, einem Stall von Eva Kot’átková. Sie befasst sich kritisch mit Erziehungsmethoden und Zwängen der Pädagogik. Ganz unversehrt kommt auch aus dieser neuen Kerpener Kunstwohnstätte niemand raus: Ein leichtes Gefühl von Unbehagen, viel Neugier und Überraschung bleiben vom Besuch zurück. Das muss eine Ausstellung erstmal schaffen.