»Einfluss« auf ­allen Ebenen

Mit Arnold Kasar setzt Hans-Joachim ­Roedelius seine beeindruckende Serie ­kosmischer Musik fort

Und dann gab es diesen Moment: unbedeutend, kurz, lapidar; und doch so eindringlich. Hans-Joachim Roedelius las ein kleines Statement zur neuen Platte mit Arnold Kasar vor der versammelten Mannschaft von Universal Germany und stolperte ausgerechnet über das Wort Komponist. Ein zartes »Kommunist« kam ihm über die Lippen. Das Publikum lachte, er nicht. Er bestätigte nochmal: »Ja klar, ich … Kommunist.«

 

Roedelius zeigt sich auch im Haus seines neuen Labels Deutsche Grammophon nicht dem Kommerz zugetan. Arnold Kasar, der als Künstler mit Nylon oder Solo nicht ganz an die Ehrenwürden, die sich  Roedelius mit der kosmischen Musik von Cluster und Harmonia erspielt hat, rankommt, nickt auch; ein wenig vorsichtiger.

 

Die zwei spielen auf einer Wellenlänge. Auf dem gemeinsamen Album »Einfluss« mag man das raushören: Getragen wird ihre Musik durch das Klavierspiel Roedelius’. Kasar sieht sich mehr in der Rolle des Umspielenden, der mit seinen Synthesizern, Drones und dem Laptop häufig einsteigt und ein rhythmisches Gerüst skizziert. Teils saß aber auch Kasar am Klavier und Roedelius gab eine Prise Kosmische Musik hinzu. »Einfluss« ist ein Duett,das auf vielen Ebenen funktioniert. Streckenweise meint man zwei alten Freunden bei einer Unterhaltung beizu­wohnen.

 

Wie kam es eigentlich zu dieser Kooperation?

 

Kasar: Da wir beide rund um das Jahr 2012 Platten auf dem österreichischen Label Fabrique rausgebracht haben (Roedelius: »Ex Animo«,2010; Kasar: »The Piano Has Been Smoking«, 2012), kamen wir in Kontakt mit der Arbeit des Anderen. Daraufhin hat mich Joachim zu seinem Festival »More Ohr Less« in Lunz eingeladen.

 

Roedelius: Darüber hat sich eine Freundschaft entwickelt — und so wuchs der Wille, etwas gemeinsam einzuspielen. Und dann haben wir einen Termin gesucht, wo wir beide für einen Zeitraum von mehreren Tagen konnten. Das hat insgesamt zwei Jahre gedauert.

 

Wann stieß die Deutsche Grammophon dazu?

 

Kasar: Die Platte war schon aufgenommen und ich war mit den wenigen Handgriffen beschäftigt, die wir für die Post-Produktion vorsahen, zeitgleich hatte ich einen Engineer-Job im Universal Gebäude. Wie es sich so ergibt: Man trifft jemand, erzählt ihm davon, man schickt die Stücke. Die waren sehr schnell interessiert.

 

Roedelius: Es ist eine besondere Zusammenkunft; nach all den Jahren. Da muss es einen höheren Plan geben. Ich bin ja eigentlich Physiotherapeut. Und dann landet man so spät im Leben bei der altehrwürden Deutschen Grammophon.

 

Herr Roedeolius, sie blicken auf Jahrzehnte von Musikproduktionen zurück. Da liegt die Frage nahe, ob sie im aktuellen Produktionsprozess den sprichwörtlichen Ton angegeben haben.

 

Roedelius: So eine Konstellation gab es nicht bei uns. Ich habe in meiner Karriere auch schon das komplette Gegenteil kennen gelernt. Gerade deswegen passiert das im Alter weniger. Man muss sich nicht präsentieren, man hat ja schon viel erreicht. Man wird leiser.

 

Kasar: »Mehr Fügung als Führung« war das Motto. Sich der Situation und dem Spiel im Moment hergeben. Da sind wir sehr ähnlich. Wenn man alles so weit schleift, dass es zu perfekt erscheint — auch aus kommerziellen Gründen —, dann bleibt da nicht so viel Seele oder Herz übrig.

 

Rodelius: So wollen wir es auch halten, wenn wir live spielen. Aus dem Bauch heraus spielen und auf den anderen hören.

 

Der Albumtitel »Einfluss« ist ja auf zwei Arten zu lesen. Das Plattencover zeigt zum Beispiel einen Fluss...

 

Roedelius: Das ist richtig. Wir haben in einem Fluss zusammengespielt. Und es geht uns auch um Einfluss im Sinne von Beeinflussung. Bei den Hörern soll ja was passieren. Ich komme hinsichtlich meiner eigentlichen Berufung von der Heil- zur Tonkunst. Es geht nicht mehr über die Haut, sondern nun durch die Ohren. Das Ziel, etwas beim »Patienten« zu bewirken, bleibt das gleiche.

 

Wo wollt ihr hin mit der Musik? Die Platte verschließt sich ja weitgehend einfachen Zuschreibungen.

 

Kasar: Das ist auch für uns die Frage ... Wir wollen uns vor allen Dingen nicht in Schubladen stecken lassen. Ich sehe uns vor allen Dingen nicht im Klassik oder Jazz oder Elektronika-Bereich. Dann passt schon Ambient oder vielleicht New Age besser.

 

Roedelius: Ich finde, der Hörer soll entscheiden, wo er es reinsortiert.

 

Bei vielen Stücken ist Zeit implizit das Thema. Etwa wenn ihr euch extrem viel Zeit lasst für einen Gedanken — oder auch sehr kurze Stücke spielt, die flott formulieren. Habt ihr da die Befürchtung, dass gerade für Streaming-Plattformen die Platte zu eigen ist, die Hörer sich nicht die Zeit nehmen könnten?

 

Roedelius: Ich glaube das nicht und denke persönlich auch nicht in solchen Sequenzen. Also dieses »Woche für Woche«-Denken der Industrie, wo eine Platte der nächsten folgt. Man muss sich vielleicht fragen, ob sich das lohnt, so zu denken. Oder ob man im Augenblick etwas schaffen soll. Die Platte muss sich ihren Weg suchen. Und die Menschen, die darauf reagieren wollen, sollen das auch machen; werden das auch. Ich bin dafür, dass man der Platte sehr viel Zeit lässt, um ihre ganze Wirkung zu entfalten. Nur wer hat die Zeit?

 

Meinst du nicht, dass genug Zeit da wäre?

 

Roedelius: Wie denn? Wir müssen ja alle was schaffen. Und keiner hat mehr Zeit; in diesen hyperkapitalistischen Zeiten.

 

Diese Kritik, die du hegst, meint man ja im Agitprop besser aufgehoben.

 

Roedelius: Wir sind die Platte so natürlich nicht angegangen. Ich glaube aber, dass man viel von dem, worüber wir geredet haben in den vier Tagen der gemeinsamen Arbeit — oder nachgedacht haben —, dass man das raushören kann. Wir haben ja die ganze Zeit miteinander verbracht. Bei den Aufnahmen oder beim Heurigen; diesen Gaststätten im Wiener Wald. Das muss man erfahren — und das kann man auch erfahren über die Platte.