Warum hast du das getan?

Mit Istanbul thematisiert Nuran David Calis die Spaltung in der türkischen Community

Gegner und Befürworter Erdoğans spielen zusammen ein Theaterstück? Das scheint kaum vorstellbar, aber der Autor und Regisseur Nuran David Calis ist auf solche Unternehmungen spezialisiert. »Istanbul« ist der dritte Teil einer Trilogie am Kölner Schauspiel über Glauben, Alltag und Spuren des Terrors.

 

Der Schriftsteller Doğan Akhanlı wurde als Kommunist nach dem Putsch 1980  inhaftiert und gefoltert. 1991 floh er nach Deutschland. Als er 2010 wieder in die Türkei reiste, wurde er sofort verhaftet und saß mehrere Monate in Untersuchungshaft. Nun erzählt er seine Geschichte im Depot 2. Aber nur bis zu dem Moment, in dem es um die Details der Folterungen geht. Dann übernimmt ein Schauspieler den Text. Sean Mc­Donagh sitzt mit nacktem Oberkörper mit dem Rücken zum Publikum. Und selbst so sieht man ihn nur vermittelt, als Live-Video.

 

Das Stück »Istanbul« ist im Kern eine inszenierte Diskussion zwischen zwei Schauspielern und Kölner Bürgern türkischer Abstammung. Dass kritische Journalisten und Intellektuelle in türkischen Gefängnissen sitzen, darf nicht sein, darüber sind sich alle Beteiligten einig. Dennoch haben einige von ihnen bei der Volksabstimmung über das Präsidialsystem mit Ja gestimmt.

 

Ayfer Şentürk Demir gibt es offen zu. Sie ist eine gläubige Muslima, die Kopftuch trägt. Die Schauspielerin Ines Marie Westernströer bekommt einen Wutanfall und nimmt Ayfer ins Kreuzverhör. Sie versteht nicht, warum eine Frau für Erdoğan stimmen kann, der sich gegen die Gleichberechtigung ausgesprochen hat.

 

Die Texte entstanden in langen Gesprächen während der Proben. Viele Deutsch-Türken sehen sich unter ständigem Rechtfertigungszwang. In Deutschland gelten sie als Türken, in der Türkei als Deutsche, überall fremd. Erdoğan gibt sich als jemand, bei dem sie sich aufgehoben fühlen, der ihnen Respekt entgegen bringt. Ayfer Şentürk Demir sagt, sie könne sich nicht vorstellen, dass in der heutigen Türkei gefoltert werde. Das löst Unruhe im Saal aus. Am Ende sitzt sie mit zwei Gefährten auf der einen Seite der Bühne, die Schauspieler und Doğan Akhanlı auf der anderen. Der Riss, der die türkische Gesellschaft spaltet, teilt auch das Ensemble.

 

Ein frustrierender und dennoch starker Schluss eines ehrlichen Theaterabends, in dem alle Beteiligten viel Mut zeigen. Denn es ist schwierig, fundamental andere Meinungen als die eigene auszuhalten und sich dennoch in den Arm zu nehmen.