Plastiktüten

Nie segelt’ ich auf der Meere sieben/ noch sah ich Phadros’ stolzen Feuerturm/ noch je die Mittagssonne am Äquator kobaltblau auf ihrem Throne/ Des Kreuz des Südens ward ich nie gewahr/ und nicht der blitzenden Gestade fremder Königreiche/ wenn Re darüber zieht die Sonnenbarke stolz...

 

Kurzum, ich hab’s nicht gesehen, aber ich glaub’s, dass unsere Ozeane eine fluide Gelbe Tonne geworden sind, in der mehr Plastikmüll schwimmt als all die Fischlein zum Spielen und Planschen brauchen. Aber eine Plastiktüte ist verdammt noch mal praktisch — für Bier!

 

Gesine Stabroth will aber, dass Plastiktüten nicht nur »voll ungesund für die Fische und so Tiere« sind, sondern auch unpraktisch. Gesine Stabroths hat, wie Psychologen sagen, keine Ambiguitätstoleranz. Es muss eindeutig und einfach sein. Daher die neueste Stabroth’sche Doktrin: Kein Bier in Plastiktüten kommt ins Haus.

 

Ich weigere mich aber aus Selbstachtung, mir Rucksäcke umzuschnallen, als zöge ich in einen Krieg oder ins Pfingstzeltlager, und packte die Bierpullen für den lustigen Abend in jene Papiertüten, die nun an Supermarktkassen liegen, damit andere die Stabroth mit ökologischem Bewusstsein becircen können. Mir schwante Ungemach, und es kam.

 

Erst setzte der Platzregen ein, dann platzten die Tüten, die Flaschen und schließlich meine Hoffnung auf einen lustigen Abend. Ich hoffte noch, dass Tobse Bongartz ein paar Pullen extra mitbrächte. So kündigt er es ja immer fürs nächste Mal an, wenn er in meinen Vorrat greift, damit ihm der Mund nicht trocken wird bei all den Perikopen seiner gesammelten Lebens­weisheit.

 

Pustekuchen. Tobse kam nicht (»Muss noch was machen«). Und Gesine Stabroth zog es vor, lecker Rhabarberschorle zu süffeln, weil sie nicht nur ohne Plastiktüten, sondern auch ohne Alkohol lustig sein könne. Und dann haben wir uns wieder gestritten.

 

Ich sagte: Eine Plastiktüte ist nicht gut für Fische, aber gut für Bierflaschen, das muss man doch ertragen können! Dinge sind oft doppeldeutig. Die Welt wird komplizierter und die Menschen sehnen sich nach Eindeutigkeit. Deshalb kursieren so viele Verschwörungstheorien. Alles soll einfach sein. Aber nichts ist einfach.

 

Gesine Stabroth sagte, sie frage sich immer, ob das stimme — nicht die Verschwörungstheorien, sondern die Erklärung. Denn Verschwörungstheorien seien doch sehr komplizierte Erklärungen für einfache Sachverhalte. Wer sich danach sehne, sei nicht bloß bescheuert, sondern auch jemand, der es gern kompliziert habe und eben nicht einfach. Und überhaupt: dass die Welt so kompliziert sei, dass man sich nach ein­fachen Erklärungen sehne — sei das nicht selbst eine einfache ­Erklärung?

 

Ich sagte: Nichtsdestoweniger ist gewiss, dass Menschen eine einfache Erklärung einer komplizierten vorziehen. Ockhams Rasiermesser hätten das Wissenschaftstheoretiker genannt, als die mal einen lustigen Abend hatten. Es bedeute: Eine Erklärung ist desto wahrscheinlicher, je einfacher sie ist. Aber das ist Quatsch. Wenn ich jetzt auch einen lustigen Abend hätte — Gesine Stabroth zog lauernd  die linke Augenbraue hoch —, würde ich zweitausend Jahre Wissenschaftstheorie in den Wind schlagen und behaupten, dass es nichts über die Qualität von Erklärungen aussagt, ob sie kompliziert oder einfach sind, — sondern ob sie stimmen. Und das mit der Plastiktüte stimmt. Ich fand, man hätte darin einen Vorschlag zur Güte sehen können.

 

Wenn ich derart meine Geistesblitze zünde, ernte ich allerdings keinen Applaus, sondern bloß grollenden Donner. Gesine Stabroth sagte: »Das ist mir als Erklärung zu einfach.« Und dann gab es wieder Streit. Warum muss nur alles so kompliziert sein?