Schnell zuschlagen

Im Mülheimer Süden liefern sich Investoren ein Wettrennen um neue Wohngebiete

Wo früher Motoren, Eisenbahnwaggons und Gummi-Produkte die Werkshallen verließen, um in alle Welt verschifft zu werden, drehen sich bald Baukräne. Im Mülheimer Süden entsteht ein neuer Stadtteil mit 3000 Wohnungen, Büros, Hotels und neuen Zugängen zum Rhein. Die ersten Baugenehmigungen sind beantragt, Politiker aller Fraktionen begrüßen die Entwicklung. Mehr als 60.000 Wohnungen braucht die Stadt in den kommenden Jahren, freie Grundstücke werden immer knapper.

 

Fünf Baugebiete entlang der Deutz-Mülheimer-Straße sind in Vorbereitung. Zu den Investoren zählen die Kölner Hamacher-Gruppe und die landeseigene Entwicklungsgesellschaft NRW Urban. Am weitesten fortgeschritten sind die Pläne der CG Gruppe, einem der größten Projektentwickler bundesweit. Im Mülheimer Süden sollen bis 2024 rund 1000 Wohnungen, Bürogebäude und ein Hostel fertig sein, eine Milliarde Euro will Vorstandsvorsitzender Christoph Gröner investieren. Er hatte im Frühjahr außerdem ein Gebot für das Grundstück der Deutz AG abgegeben. Mit 160.000 Quadratmetern — das entspricht 23 Fußballfeldern — macht dieses Areal etwa die Hälfte des neuen Stadtviertels aus. Den Zuschlag erhielt aber die Düsseldorfer Gerchgroup. Gröner behauptete daraufhin in einer Presseerklärung, sein Gebot sei höher gewesen und unterstellte seinem Konkurrenten Spekulation.

 

Mathias Düsterdick, einer der beiden Geschäftsführer der Gerchgroup, weist die Vorwürfe zurück. Sie dürften für ihn aber nichts Neues sein. Sein Unternehmen hat jüngst die Mehrheit der Anteile an einer Tochterfirma verkauft — vermutlich gewinnbringend. Auch der gehörten Grundstücke, unter anderem in Stuttgart, Hamburg und Passau, auf denen tausende Wohnungen entstehen sollen. Der Eigentümerwechsel weckte Befürchtungen, dass die vor Ort dringend benötigten Wohnhäuser nie gebaut werden könnten. Düsterdick versicherte, auch weiterhin verantwortlicher Ansprechpartner zu bleiben. Und tatsächlich laufen Bürgerbeteiligungen weiter, Bauanträge werden vorbereitet. Am Kauf des Deutz-Areals war das fragliche Tochterunternehmen unbeteiligt. In den anderen Städten habe er sich durch die Kooperation mit dem nötigen Personal für die Planung versorgt, sagt Düsterdick der Stadtrevue. Das sei in Mülheim noch nicht nötig. Eine künftige Kooperation ähnlicher Art wollte er jedoch nicht ausschließen.

 

Die Deutz AG, die vor dem Verkauf ihres Grundstücks an der Planung des gesamten Gebietes beteiligt war, steht zu ihrer Wahl des Käufers. Ein für den Motorenhersteller beteiligter Berater verweist auf eine Klausel im Kaufvertrag. Danach drohe eine Vertragsstrafe, wenn der neue Eigentümer nicht schnellstmöglich auf eine Bebauung hinarbeite. Also alles böswillige Verdächtigungen eines schlechten Verlierers? Oder spekuliert Düsterdick tatsächlich auf einen lukrativen Weiterverkauf?

 

Fest steht, dass die Grundstücke ohnehin teuer waren. Welche Folgen hat das für das Viertel, das hier entsteht und für die Nachbarschaft? Die Investoren dürfen dichter bauen als etwa auf dem Clouth-Gelände in Nippes. Eine Garantie, dass die neuen Wohnungen damit für breite Schichten bezahlbar werden, ist das nicht. Die Bauherren müssen auch auf die kostspieligen Wünsche der vergleichsweise geschlossen auftretenden Politik und Bauverwaltung eingehen: Schulgebäude, Kitas, Grünzüge, der Ausbau des Auenwegs als Hauptstraße und eine teure Straßenbahn auf der Deutz-Mülheimer Straße. Baudezernent Franz-Josef Höing hat deutlich gemacht, dass das Baurecht ohne Straßenbahn in weite Ferne rücke. Ein Grund, sich zurückzuziehen, war das bislang offenbar für niemanden.

 

Baudezernent Höing will auf dem Gründstück der Gerchgroup das Kooperative Baulandmodell umsetzen, das einen Anteil von 30 Prozent sozialem Wohnungsbau vorgibt. Hier steht allerdings noch eine rechtliche Prüfung aus. Andere Projektentwickler haben sich dennoch bereits dazu verpflichtet. In ihren Berechnungen werden die übrigen Wohnungen dadurch allerdings teurer. Es ist anscheinend nicht ausgeschlossen, dass frei finanzierte Eigentumswohnungen letztlich mehr als 5000 Euro je Quadratmeter kosten. Michael Frenzel (SPD) verweist auf knappen Baugrund in Köln: »Die Grundstückspreise sind entscheidend, ob eine Neubauwohnung für 12 oder 16 Euro den Quadratmeter vermietet wird.« Die Befürchtung liegt nahe, dass die Mieten in ganz Mülheim dadurch weiter steigen und alteingesessene Bewohner verdrängt werden. SPD, Linke, Piraten und Freie Wähler wollen daher Luxussanierungen und Umwandlung von Mietshäusern in Eigentumswohnungen im gesamten Stadtteil erschweren. Michael Weisenstein von der Linken wünschte sich sogar mehr sozialen Wohnungsbau in Mülheim-Süd.

 

»Wir wollen ein gemischtes Quartier«, sagt Kirsten Jahn, Fraktionschefin der Grünen im Rat. Mehr geförderten Wohnungsbau hält sie allerdings für das falsche Mittel. Jahn bringt stattdessen Genossenschaften und Baugruppen ins Spiel. Für sie müssten die Investoren zunächst geeignete und finanzierbare Grundstücke anbieten. Immerhin: Das Gebäude 9, das Atelierhaus KunstWerk und viele Ateliers an der Deutz-Mülheimer Straße bleiben vorerst erhalten. Investor Gröner von der CG Group sagt, 21 der bisherigen 23 Mieter hätten Verträge mit ihm abgeschlossen.