»Die Ehe für alle ist eigentlich durch«

Im Oktober ist Schluss. Nach 23 Jahren wird Volker Beck nicht mehr für die ­Grünen im Bundestag sitzen. Ein Gespräch über die ersten CSD-Feste in Köln, die Rolle von LGBTI in der Stadtgesellschaft und warum sexuelle Minderheiten nicht auto­matisch klug sind

 

Herr Beck, im Juli findet wieder der Cologne Pride statt. Die wievielte CSD-Parade ist das für Sie?

 

Jetzt müssen Sie mal nachzählen. Ich war seit 1991 jedes Mal dabei. Nur einmal bin ich nicht gekommen, weil mein Mann im Sterben lag.

 

Wie hat sich das schwule Leben in Köln verändert?

 

Beim ersten Pride 1991 habe ich in Frankfurt und Bonn gewohnt, 1992 bin ich nach Köln gezogen. Damals war der Pride noch ein intimes Straßenfest auf der Stephanstraße, und wir haben die ersten Flugblätter des Schwulenverbandes in Deutschland an die Schwulen dieser Stadt verteilt. Mittlerweile gehören wir in Köln selbstverständlich dazu. Beim Karneval, im gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Der CSD ist für die Stadt eine Marke, mit der sie aktiv um Touristen wirbt. Aber wir haben auch etwas verloren, und das tut mir in der Seele weh: das SCHuLZ, das Kölner Schwulen und Lesbenzentrum. So ein Zentrum zu halten, ist zwar bei den heutigen Immobilienverhältnissen schwierig. Aber in den USA zum Beispiel schafft es die Community trotzdem, das irgendwie zusammenzubringen. Vielleicht kommt das ja wieder, in einer Zeit, in der man merkt, dass wir unsere Sache trotz der Erfolge weiter verteidigen müssen.

 

Das diesjährige Motto des CSD lautet »Nie wieder«. Worauf spielt es an?

 

Zum einen erinnert es an die Forderung nach Rehabilitierung der Homosexuellen aus der DDR und der BRD der Adenauer-Zeit, die wir hoffentlich bis dahin durchgesetzt haben. Und natürlich an den wiederaufkeimenden Rechtspopulismus, eine Ideologie der Ungleichwertigkeit, von der wir herausgefordert werden, das Erreichte zu verteidigen und uns nicht mit weniger als Gleichberechtigung zufrieden zu geben.

 

Wenn Sie »wir« sagen, wirkt das etwas kühn. Es gibt ja auch Homosexuelle, die sich von den Rechtspopulisten angesprochen fühlen und etwa für die AfD im Landtag sitzen.

 

Angehöriger einer Minderheit zu sein, macht nicht automatisch klug. Über die eigenen Erfahrungen zu reflektieren und dies auch auf andere Gruppen zu übertragen, ist eben nur eine Möglichkeit. Und natürlich gibt es auch Schwule und Lesben, die für Rechtspopulismus anfällig sind. Es gibt auch migrantische Nationalisten und Rassisten. Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu sein heißt nicht, dass man automatisch den Kontext versteht und daraus die richtigen Konsequenzen zieht.

 

Aber wie erklären Sie sich etwa die muslimfeindlichen Tiraden vom schwulen CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn?

 

Jens Spahn bedient da etwas. Offenbar zahlt man irgendwo anders ein, wenn man als Schwuler in der CDU Karriere macht. Er hat wohl das Gefühl, er könne sich in dem Feld für die Generation nach Angela Merkel profilieren, und das macht er kaltschnäuzig professionell. Trotzdem ist es ein Erfolg unserer Arbeit, dass Jens Spahn in dieser Rolle möglich ist. Auch wenn wir jetzt nicht ausgerechnet für ihn als CDU-Präside gekämpft haben.

 

Wie konstitutiv ist Homophobie für den neuen Rechtpopulismus? Für viele junge Aktivisten des Front National sind die rechtskatholischen Proteste gegen die »Ehe für alle« in Frankreich ein erster Schritt in die Politik gewesen.

 

Man kann Frankreich nicht auf Deutschland übertragen. Der Katholizismus hat dort seine entscheidende Schlacht 1905 mit der Einführung der Staatsschulen und dem Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche verloren. Damals wurden Lehrer an den staatlichen Schulen, die man als »Soldaten der Republik« bezeichnete, von der katholischen Kirche exkommuniziert. Bei diesen Demos gegen die »Ehe für alle« hat sich das katholische Milieu zum ersten Mal organisiert und konnte über einen engeren Kreis hinaus mobilisieren. Zudem ist da die Provinz in die Städte gekommen. Die Leute wurden ja mit Bussen von überall her angekarrt.

 

Und in Deutschland ist die Ablehnung der »Ehe für alle« nicht so entscheidend?

 

Nein, nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle haben wir 83 Prozent Zustimmung.  Mit dem Thema kann man nicht viele Leute auf die Straße holen, die Debatte ist eigentlich durch. Die CDU nimmt nur noch Rücksicht auf den rechten Rand. Anstatt gegen die AfD zu argumentieren, läuft sie ihr hinterher. Also macht die Mehrheit des Bundestages eine Politik für weniger als 17 Prozent der Menschen.

 

Glauben Sie, dass nach der Bundestagswahl darüber abgestimmt wird?

 

Die SPD will das ja nicht vorher entscheiden. Wir haben alles versucht und auch in Karlsruhe gekämpft. Jetzt liegt es allein an der SPD. Sie muss im Rechtsausschuss mit der Opposition stimmen, dann ist der Weg frei: Die letzte Bundestagssitzung ist am 30. Juni, und ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass wir an diesem Tag die »Ehe für alle« beschließen. Wenn die SPD weiter der Union die Mehrheit für ein Nein besorgt, dann hat die SPD keinen Kanzlerkandidaten mehr, dann hat sie nur noch einen Vizekanzlerkandidaten. Das müssen die Wähler wissen. Wir Grünen werden in keine Koalition gehen, die die Ehe für alle nicht im Vertrag stehen hat.

 

Sie engagieren sich neben dem Kampf für sexuelle Gleichberechtigung auch stark gegen Antisemitismus. Wie kam das?

 

Ich habe immer Politik für Minderheitenrechte gemacht. Und ich habe es immer für notwendig gehalten, sich aus eigenen Erfahrungen heraus für andere Minderheiten einzusetzen und Bündnisse zu schmieden. Der Ausschlussmechanismus ist nämlich immer ähnlich. Leo Baeck hat das in seinem Buch »Das Wesen des Judentums« schön ausgedrückt: »Nicht nur um uns handelt es sich, wo es sich um uns handelt. Wir verlangen nicht, dass man uns ehre, sondern nur, dass man das Recht und die Wahrheit ehre.« Was er aus jüdischer Perspektive gesagt hat, kann eigentlich jeder über seine eigene Minderheitenerfahrung und seinen Emanzipationskampf sagen.

 

Das klingt sehr prinzipiengeleitet.

 

In meiner Vita kommt es aus der konkreten Arbeit. In den 80er Jahren habe ich mich damals noch in Stuttgart für die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus eingesetzt. Die Homosexuellen waren nicht als Opfer anerkannt und wurden weder entschädigt noch rehabilitiert. Manche NS-Opfer wie Wehrmachtsdeserteure, Zwangssterilisierte oder Euthanasiegeschädigte hatten keine nächste Generation. Und mir fiel auf, dass auch die nicht-vergessenen jüdischen Opfer oder die Sinti und Roma häufig nicht angemessen entschädigt wurden. Sobald man sich aber für die Entschädigung von Juden einsetzt, bekommt man einen Teil des Antisemitismus in dieser Gesellschaft mit ab. Das sensibilisiert.

 

Ab Oktober sind Sie nicht mehr im Bundestag, Werden Sie sich wieder hier vor Ort in Köln engagieren?

 

Ich habe nur einen Plan: einen Gang runterschalten. Nachdenken, lesen, vielleicht etwas schreiben. Dann werde ich weitere Pläne machen.