Letzte Ausfahrt Punk: Sonic Ballroom, Foto: Dörthe Boxberg

Popstars in Köln - Raus aus der Heimatfalle (Teil 2)

Wolfgang Niedecken, Tommy Engel, Brings — Köln hat einige Popstars hervorgebracht. Aber im Laufe der Jahre standen sie immer weniger für einen eigenständigen Pop-Entwurf als für schunkelselige Heimatanbetung. War dieser Abstieg zwangsläufig? AnnenMayKantereit, Golf, Klee machen heute Pop in der Domstadt. Ihre Musik könnte vom Kölsch­rock nicht verschiedener sein. Felix Klopotek und Oliver Minck haben die unterschiedlichen Szenen begutachtet und erzählen von ihrem Glanz und Elend. Dörthe Boxberg hat ihre Bühnen fotografiert

Kölner Sterne

 

Die Durststrecke war lang, doch inzwischen bringt die Domstadt wieder echte Popstars hervor

 

Ich bin Mitte der 90er Jahre vom Bodensee nach Köln gezogen. Der Plan war, mich unter dem offiziellen Deckmäntelchen eines Studiums hauptsächlich der Musik zu widmen und mit meiner damaligen Band Weltmeister (wir kamen zu viert) so richtig »durchzustarten«. Schnell merkte ich, dass ich mir vom Popmusikstandort Köln in meiner provinziellen Naivität viel zu viel versprochen hatte. Während in Hamburg die Hamburger Schule mit Tocotronic, Blumfeld, Die Sterne und Co in voller Blüte stand und in Berlin der Untergrund brodelte, entpuppte sich Köln als schlechtes Pflaster für Indiepop. Zwar genoss die Stadt durch strahlkräftige Megaevents wie die Popkomm, den Sitz des Schallplattenriesens EMI, die Popmagazine Spex und Intro und den kurzzeitig für Furore sorgenden Musik-TV-Sender VIVA den Ruf einer deutschen »Popmetropole« — abseits dieser medialen Flaggschiffe und jenseits von Klüngel, Kölsch und Karneval erschien mir die alternative Musikszene Kölns aber recht blutleer. Große Ausnahme natürlich: der international gefeierte elektroide Sound of Cologne und das Kompakt-Label. Zu dessen minimalen Klackerbeats nippte ich nach der Bandprobe im Liquid Sky Club auf der Kyffhäuserstraße zwar gern mal ein Bier, ansonsten ließ mich diese abstrakte Musik eher kalt. Und — womit wir beim Thema wären — richtige Kölner Popstars brachte der Sound of Cologne nicht hervor. Coole Szeneprotagonisten wie Tobias Thomas, Wolfgang Voigt oder Superpitcher, klar, aber eben keine Gesichter mit universellerem Massenappeal.

 

Auch in den Nuller-Jahren herrschte popmusikalisch in der Kölner Szene noch eine ziemliche Dürre. Ein paar wenigen deutschsprachigen Acts gelang es, sich auf nationaler Ebene zu etablieren, etwa den Schlager-affinen Indieromantikern von Klee, dem medienscheue Songwriter-Avantgardisten Peter Licht und den eigentlich aus Münster stammenden Erdmöbel, aber auch deren Erfolge blieben im Vergleich zu denen von Wir sind Helden oder Sportfreunde Stiller überschaubar. Die 2002 gegründete Band Angelika Express gehörte zu den Kölner Ausnahmen, denen nach ihrem zeitgeistigen Szenehit »Geh doch nach Berlin« eine Karriere im größeren Stile prognostiziert wurde. Sänger Robert Drakogiannakis erinnert sich daran, dass der Standort der Band aber eher als Stigma betrachtet wurde: »Die Plattenfirma wollte unsere Kölner Herkunft sogar vertuschen, denen war es peinlich, dass wir nicht aus Hamburg oder Berlin kamen.« Noch im Jahr 2005, als ich mit meiner Band Wolke beim Hamburger Label Tapete Records einen Vertrag unterzeichnete, legte uns der Firmenchef nahe, doch besser den Namen unserer Website zu ändern: wolke-koeln.de könne Menschen in Hannover oder Leipzig davon abhalten, sich mit unserer Musik beschäftigen zu wollen. Köln als Karriere-Killer? Im Falle einer Band wie Coloma, die in den Nuller Jahren mit ihrer ebenso formvollendeten wie einzigartigen Mischung aus Minimal-Elektro und Crooner-Pop eigentlich Weltstars hätten werden müssen, könnte man beinahe davon sprechen.

 

Ein Jahrzehnt später sieht die Lage deutlich anders aus. Zwei Beispiele belegen, dass Pop aus Köln inzwischen auch big style funktionieren kann: Im deutschsprachigen Raum sorgen seit drei Jahren AnnenMayKantereit für Furore. Zwar hat die Band erst ein reguläres Album veröffentlicht, dennoch steht ihr Name selbst bei den großen Festivals ganz oben auf dem Plakat. Bei Rock am Ring spielten sie jüngst als vorletzter Act, danach folgten nur noch Macklemore & Ryan Lewis. AnnenMayKantereit sind nicht nur verdammt erfolgreich, sie sind echte Popstars — mit Musik, die sich jeglicher Szene-Coolness entzieht und gerade von ihrem Authentizitätsversprechen lebt. Sänger Henning May ist mit seiner rauchigen Bluesstimme die Galionsfigur der melancholisch veranlagten Hochbett-Millennials, die sich nach einer Alternative zum durchformatierten Radioschlager sehnen — eine offenbar immense Zielgruppe.

 

Beispiel Nummer zwei kommt von einer ganz anderen Baustelle und zeigt, dass Kölner Pop-Exporte inzwischen sogar internationale Erfolge feiern können: Marius Lauber, alias Roosevelt, backt in Deutschland im Vergleich zu AnnenMayKantereit bislang noch eher mittelgroße Brötchen, strickt dafür aber an einer weltweiten Karriere. Auf dem von Hot-Chip-Mitglied Joe Goddard gegründeten Londoner Label Greco-Roman veröffentlicht er zeitgeistigen Electropop, der den Ansprüchen der globalisierten Popwelt zu hundert Prozent gerecht wird. Umfangreiche Tourneen durch die USA und Slots auf den angesagtesten Festivals der Welt, darunter Sonar und Sziget, deuten darauf hin, dass Roosevelt von Köln aus ein selbstverständlicher Teil des Indiepop-Establishments geworden ist. Wer möchte, kann mit viel gutem Willen einige Stränge Kölner Techno-DNA in der Musik Roosevelts ausmachen, im Prinzip ist sein Sound aber vollkommen ortlos, geboren und gefüttert wurde er in den endlosen Weiten des Internets, weshalb er von Boston bis Tokio überall verstanden wird.

 

Doch auch in der zweiten Reihe brodelt es. An Kölner Bands, die bundesweit ein Publikum finden und auf Tour gehen können, mangelt es nicht mehr. Golf unterwandern mit ihrem slicken, leichtfüßigen und deutschsprachigen Dancepop clever den Mainstream, Woman verfolgen mit englischen Texten und jeder Menge 80er-Jahre-Soul ein ähnliches Konzept und auch der ehemalige Timid-Tiger-Frontmann Keshav Purushotham orientiert sich mit seinem ausgefuchsten, HipHop-infizierten Produzentenpop eher an internationalen Größen wie Frank Orange. Was diese Acts bei aller Unterschiedlichkeit eint, ist ihre Geste: Hier geht es nicht um die Definition einer Kölner Schule, da werden zuvor keine Manifeste verfasst. Viele der Musiker kennen sich zwar untereinander, tauschen sich aus und spielen gemeinsam in verschiedenen Projekten, musikalisch werden aber sehr verschiedene Süppchen gekocht.

 

»Ein Vorteil von Köln ist, dass es die Stadt der kurzen Wege ist, kurze Distanzen, sowohl geographisch als auch zwischenmenschlich«, findet Klee-Sängerin Suzie Kerstgens, der man von allen Kölner Bands der Nuller-Jahre wohl am ehesten eine Art Popstar-Status zusprechen würde. Das Prädikat Köln sei jedoch nicht ausschlaggebend dafür, ein überregional bekannter Popstar zu werden: »Grundsätzlich ist es natürlich hilfreich, wenn man in einer der fünf großen deutschen Städte lebt und arbeitet.« Marian Schütt ist Keyboarder von Bergfilm, einer ebenfalls aufstrebenden Kölner Band, die auf dem renommierten Haldern-Pop-Label veröffentlicht und sowohl in Sachen Sound (eskapistischer 80er-Jahre-Vintage-Pop mit schwelgerischen Melodien) als auch in Sachen Optik (Schnur- bzw. Vollbärte und Styler-Klamotten) voll auf Popstarmodus setzt. Bezüglich Köln lässt er sich zu etwas mehr Euphorie hinreißen als Kerstgens: »In den letzten Jahren hat Köln einige Bands und Künstler hervorgebracht, die deutschlandweit oder darüber hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt haben. Momentan trifft man auf so gut wie jedem Festival, das man spielt, noch mindestens zwei, drei andere Bands aus Köln. Das ist mittlerweile auch anderen Leuten aufgefallen. Köln als Musikstandort schadet das sicherlich nicht.«

 

Ganz offiziell um Köln als Musikstandort kümmert sich seit 2014 Till Kniola. Der städtische Popreferent hat sich bei den hiesigen Musikern offenbar beliebt gemacht — Robert Drakogiannakis von Angelika Express bezeichnet ihn gar als »Glücksfall für die Kölner Szene«. Auch Kniola beobachtet ein Erstarken der Popmusik in Köln, welches er nicht zuletzt auch auf die Förderaktivitäten des Kulturamtes zurückführt: »In der Sparte Popkultur unterstützen wir sowohl die Strukturen und Rahmenbedingungen, als auch die Umsetzung von Veranstaltungen und die Durchführung von Vernetzungs- und Marketingaktivitäten. Nicht zuletzt wird das kreative Schaffen der Musiker und Bands direkt in den Schwerpunkten der Produktionsförderung und des Cologne Music Export unterstützt.« Viele der Bands, die aktuell für Furore sorgen, seien in den letzten Jahren vom Kulturamt gefördert worden, darunter Woman, Bergfilm, COMA, Neufundland, Vimes oder Spark­ling. Generell gebe es aktuell einen guten Austausch zwischen Bands und Produzenten, der weniger von Konkurrenzdenken, sondern eher von einem kollegialen Miteinander geprägt sei: »So etwas kann man nicht planen, sondern das speist sich insgesamt aus einem Lebensgefühl. Dazu trägt vielleicht auch ein bisschen die Förderung bei, dass Musikerinnen und Musiker sich in Köln gut aufgehoben fühlen.«

 

Und die Moral von der Geschichte? Gute Musik wird natürlich von den Künstlern erschaffen, eine ablehnende Haltung der Stadtoffiziellen und Medien gegenüber der eigenen Szene kann so manches zarte Pflänzlein allerdings schon im Keim ersticken. Hier scheint sich Köln erstmals seit Langem auf einem guten Weg zu befinden. Der Wille ist da, das Selbstbewusstsein groß. Und auch die Fans scheinen es nicht mehr uncool zu finden, Musikern aus der eigenen Stadt zuzujubeln, was ein Event wie die Cologne Music Week seit einigen Jahren nachdrücklich beweist. Nachholbedarf besteht in puncto Plattenlabels. Die bekannteren Kölner Acts veröffentlichen noch immer hauptsächlich auf Hamburger oder Berliner Labels. Eine stärkere Labelstruktur würde den Standort Köln langfristig festigen und stärker als eigene Marke etablieren. Damit wir auch zukünftig in den Genuss zahlreicher neuer Popstars aus Köln kommen dürfen.