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Was für ein Grafisches Kabinett!

Ein Besuch in der Bonner Ausstellung »Comics! Mangas! Graphic Novels!«

gibt Anlass zum Staunen

Gehen Sie ins Grafische Kabinett? In jenen meist etwas abgegrenzten Bereich in den Museen, in die Nischen der Kontemplation? In den Kabinetten alter Kunst finden wir konzentrierte Betrachter, wissend, im »Disegno« das Herz dessen zu finden, was draußen in den großen Sälen hängt. Vielleicht wissen sie es auch nicht, aber bemühen sich um die Pose des Kenners — dabei habe ich mich auch schon ertappt ...

 

In den Museen mit moderner Kunst gerät das Grafische meist zum Randgebiet, eher Experiment als Fingerübung. Doch es gibt ein Grafisches Kabinett der Moderne, in dem alles zugleich ist: Herz und Experiment, Form und Inhalt. Wer zweifelt, mag sich im ersten Raum der Ausstellung »Comics! Mangas! Graphic Novels!« in der Bundeskunsthalle umschauen.

 

Wir begeben uns in die Zeit, als James Ensor, Alfred Kubin, Marcus Behmer und andere zwischen Symbolismus und Simplicissismus mit den Füssen scharren; die Zeit der Groteske. Allein, Richard F. Outcault oder Frederick Burr Opper sind ihnen mit ihren Zeitungsstrips längst davongeeilt. Der grausame, sardonisch-sadistische Humor des ausgehenden 19. Jahrhunderts, nicht selten Sittengemälde seiner Zeit, lässt den Betrachter schaudern. Fern jeder Kennerpose bewegen sich die gebannten Besucher auffallend langsam entlang der Wände, verweilen vor dem, was einst Zeitungsseiten waren oder den immer wieder zu bewundernden Originalseiten, mit all ihren Tricks und Ausbesserungen. Wo Winsor MacCay und George Herriman den Surrealismus vorwegnehmen, wird aus dem Staunen verblüffter Respekt. Nur zur Erinnerung, wir sind erst im ersten Raum einer umfassenden Ausstellung zur Geschichte der Comickunst. 

 

Was für ein Grafisches Kabinett! Tatsächlich flüstern die Besucher miteinander, wenn überhaupt ein Wort fällt. Dabei gab man sich im Kuratorenteam alle Mühe, ein hochkulturelles Ambiente zu vermeiden. Wirklich sinnvoll sind dabei noch zu Beginn drei aufwändig gestaltete Stationen, an denen man per Virtual-Reality-Brille in Bilder steigen kann. Die anarchischen Werke der Frühphase des Comics als Sujet einer Technik, welche vielleicht in absehbarer Zeit Medien und Künste komplett revolutionieren wird, das passt. Später aber stören diverse Klangquellen, meist Musik von Trickfilmen. Sie sind gut gewählt, doch irritieren sie den Sog der Bilder.

 

Cliff Sterrett stürzt uns in expressionistische Szenerien, Hal Foster überwältigt den Blick mit klassizistischer Pracht, der Feminismus von »Wonder Woman« anno 1948 verblüfft, dann verstummt man ob des Goya-gleichen Schreckens einer Geschichte von Harvey Kurtzman. Doch warum liegen überall im Raum Bücher und Hefte auf Tischen? Sie sollen zum Durchblättern anregen, wo an den Wänden längst genug ist. Vielleicht unterschätzte man die Wirkung der Werke, da man etwas anderes im Blick hatte: Ein Wandtext behauptet, dass der Comic »die schnelle Art, in der wir heute Bilder konsumieren«, prägte. Mag sein, doch nun lehrt der Comic uns die Faszination des genauen Blicks.

 

Immer wieder scheint es, als zweifelten die Kuratoren Alexander Braun und Andreas C. Knigge an den so außerordentlich kenntnisreich zusammengestellten und mit lehrreichen Informationstexten versehenen Werken bzw. an ihrem eigenen Tun. »Ist es richtig, sie gerahmt zu präsentieren? Sind sie nicht fremd im Museum? Wird ihnen nicht gar die Unschuld geraubt?« Dabei ist die große Leistung dieser Ausstellung, zu zeigen, wie in elegantem Schwung gezeichnete sprechende Enten, Erwachsene in hautengen Kostümen oder ganz normale Menschen in ihrem Alltag die Zeichenkunst des letzten Jahrhunderts bevölkerten, belebten, ja: ausmachten! Die Stilgeschichte des Comics, das ist die wahre Grafik der Moderne.

 

Die vermeintliche Alltäglichkeit der belgischen Comics, gezeichnet von Menschen, die aussahen wie Postbeamte, erscheint nun hochgradig befremdlich — Figuren zwischen Eleganz und Knubbeligkeit, ein geheimer Code. Vertrauter vielleicht die intendiert geheimen Codes amerikanischer Undergroundcomics, die Wandlung hin zum Malerischen in den Superheldencomics der späteren 80er. Die ästhetische Herausforderung des Mangas wird leider zur Herausforderung, die unerbittlich tönende Titelmelodie von »Astroboy« zu ertragen. Dabei fasziniert Osamu Tezukas Manga auch ohne sein Trickfilmpendant.

 

Gegen Ende thematisiert eine Seite von Andreas, der seinen Nachnamen Mertens meist verschweigt, die Bedeutung von Rahmen. Sie organisieren die Welt, definieren Begriffe, etwa, indem sie ein bemaltes Blatt zum Kunstwerk machen, sie sperren ein und ermöglichen zugleich die Freiheit des Comics. In Andreas’ leidenschaftlichen formalen Experiment konzentriert sich die Lektion einer großen Ausstellung.

 

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn, Di + Mi 10–21, Do–So 10–19 Uhr, bis 10.9.