Grüner wird’s nicht – Teil 2

»Die grüne Identität ist nicht mehr ideologisch aufgeladen«

 

Der Politologe Lothar Probst rät den Grünen, Ökologie und Ökonomie zu verbinden. An ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl glaubt er nicht

 

 

Deutschland diskutiert über grüne Themen. Durch die Sommerunwetter erscheint der Klimawandel als Teil des Alltags, die Dieselaffäre hat das Vertrauen in die Auto-industrie empfindlich gestört. Dennoch liegen die Grünen laut einer aktuellen Forsa-Umfrage nur bei acht Prozent. Warum?

 


Umweltthemen haben zwar wieder mehr Konjunktur, aber Fragen der inneren und äußeren Sicherheit spielen dennoch die wichtigste Rolle im Wahlkampf. Da haben die Grünen nicht so gute Karten. Außerdem stehen sie in Ländern mit einer starken Autoindustrie, wie in Baden-Württemberg, in der Regierungsverantwortung — das macht es nicht so einfach, eine Position zu formulieren, die den großen Unterschied zu den anderen Parteien macht. Und sie haben nicht klar herausgestellt, dass die ökologischen Gefährdungen durch Abgase und Feinstaub mit ökonomischen Risiken einhergehen. Wenn die deutsche Autoindustrie, eine tragende Säule unseres Wirtschaftssystems, nicht schnell die Kurve kriegt in Richtung saubere Antriebstechnologien, droht ihr mittelfristig das Nachsehen mit erheblichen Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Dieser Zusammenhang von Ökologie und Ökonomie müsste ins Zentrum der Kritik gerückt werden.

 


Die Grünen sind eine urbane Partei. In ihrer ehemaligen Hochburg Köln, wo sie seit den frühen Nullerjahren mitregieren, haben sie bei der NRW-Landtagswahl bis zu einem Drittel ihrer Stimmen verloren, viele davon an die Linkspartei.

 


Da spielt Enttäuschung über die Rolle der Grünen in der Regierung eine Rolle, zumal sich in NRW viele soziale Probleme auftürmen, an denen auch die Grünen nichts ändern konnten. Die Wählerwanderungsanalyse von Infratest dimap zeigt aber, dass die Grünen 230.000 Stimmen an SPD, CDU und FDP verloren haben, also Parteien rund um die Mitte, aber nur 60.000 Stimmen an die Linke, die es trotzdem nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat. Mit einer Orientierung der Grünen in Richtung Linke wäre also nichts gewonnen. Im Gegenteil: Andere Landesverbände der Grünen, wie in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein, sind ja viel erfolgreicher — mit einem Kurs, der eher auf die Mitte der Gesellschaft zielt und sich einer pragmatischeren Politik verpflichtet fühlt. 

 

 

Aus welchen Milieus und Schichten setzen sich die grüne Partei und ihre Wähler aktuell zusammen?

 


Die sogenannten neuen Mittelschichten, ökologisch aufgeklärt, sozial empathisch und ökonomisch erfolgreich, sind nach wie vor das Rückgrat der grünen Wählerschaft. Dazu gehören seit einigen Jahren, neben Angestellten und Beamten, auch immer mehr Selbständige. Eine Kon-stan-te ist, dass Frauen überdurchschnittlich für die Grünen votieren. Auch Wähler mit höherem Bildungsabschluss, Jungwähler und Wähler in Universitätsstädten und urbanen Zentren neigen sich eher den Grünen zu.

 

 

Grünen-Politikerinnen wie Renate Künast oder Simone Peter werden in journalistischen und in sozialen Medien hart angegangen. Woher stammt dieses Feindbild der »Grünen« und wieso hat es in den letzten Jahren so eine starke Konjunktur?

 


Die Grünen stehen für die kulturelle Modernisierung der Gesellschaft, man denke etwa an die Homo-Ehe. Aber ihnen haftet auch das Stigma der Verbotspartei an, die den Spaß an schnellen Autos und der deutschen Currywurst verderben will. Das Feindbild »Grüne« wird vor allem von der AfD und ihren Anhängern mit ihrem Hass auf die 68er-Generation gepflegt, aber auch von der FDP. Die FDP sieht sich gerne als Hüterin der Bürgerrechte, aber die Grünen haben ihr diesen Rang im Lauf der Jahre streitig gemacht. Außerdem sind sie das Gegenstück zum Marktradikalismus der FDP. Gleichwohl gibt es auch einen moderaten liberalen Flügel bei den Grünen, und mit ihrer Orientierung auf eine ökologische Marktwirtschaft sind sie ja schon lange keine antikapitalistische Partei mehr.

 

 

Die Geschichte der Grünen ist auch eine Geschichte der Konflikte, etwa von Realos gegen Fundis oder auch wegen des Kosovo-Kriegs. Welche Konflikte sehen Sie aktuell in der Partei? Ist eine »grüne Identität« von vornherein gespalten?

 


Die Flügel sind zahmer geworden, aber sie sind nicht verschwunden. Jedoch haben sich die Konflikte verschoben. Es geht nicht mehr um die Frage, ob man überhaupt regiert, sondern mit wem. Koalitionen mit der CDU oder sogar der FDP sind einigen immer noch ein Graus. In inhaltlichen Fragen sehen die einen mehr Übereinstimmung mit dem linken Flügel der SPD und der Linkspartei, etwa in der Steuerpolitik, die anderen sehen mehr Gemeinsamkeiten mit der Union, etwa in der Haltung zu Putin und Russland. Die grüne Identität ist auf jeden Fall nicht mehr so stark ideologisch aufgeladen wie früher. Alle Flügel wollen mitgestalten und sind letztlich Realisten — mal mehr von links, mal mehr von rechts.

 

 

Wir haben mit Kölnerinnen und Kölnern geredet, die sich in Fahrrad-initiativen oder im Urban Gardening engagieren. Alle bemängeln, die grüne Politik suche kaum Kontakt zu ihnen. Für wie symptomatisch halten Sie diese Äußerungen?

 


Die Grünen können solche Initiativen parlamentarisch unterstützen und ihnen gegebenenfalls auch zu Aufmerksamkeit oder sogar Geld im öffentlichen Haushalt verhelfen, wenn sie mit anderen über entsprechende Mehrheiten in den Kommunen verfügen. Aber man sollte die Rollen klar unterscheiden. Die Grünen sind nicht mehr die alte Bewegungspartei, also einfach nur das Dach für Initiativen verschiedenster Art, sondern sie sind eine professionalisierte Parlamentspartei, deren Wirkungs-raum sich immer stärker auf die Parlamente und die dort stattfindenden politischen Prozesse verschoben hat. Das kann man beklagen. Es ist aber ein natürlicher Prozess, den man auch in anderen Ländern beobachten kann, in denen ehemalige Bewegungs-parteien sich parlamentarisieren.

 

 

Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke hat den Grünen in den »Blättern für deutsche und internationale Politik« vorgeworfen, die ökonomisch-ökologischen Effekte des Kapitalismus nicht stark genug zu thematisieren. Wie sehen Sie diese Kritik?

 


Ich bin nicht sicher, ob Albrecht von Lucke hier richtig liegt. Ökologie ist der Markenkern der Grünen, den sie zu Recht pflegen müssen. Das richtige Rezept ist meines Erachtens, die ökologischen Fragen mit den ökonomischen zu verknüpfen, aber nicht durch den Rückfall in eine antikapitalistische Rhetorik. Ökologie kann am besten unter den Bedingungen regulierter Marktwirtschaften gedeihen, andere Wirtschaftsformen sind umweltpolitisch gesehen viel destruktiver. Natürlich gibt es auch in Marktwirtschaften destruktive Entwicklungen. Deshalb ist immer die entscheidende Frage, ob es politische Freiheiten gibt, um diese destruktiven Tendenzen zu bekämpfen und zu korrigieren. Das gelingt in Demokratien am besten.

 

 

In anderen Ländern sind grüne Politiker gerade dann erfolg-reich, wenn sie auch exponiert für eine linke Sozial-politik eintreten. In Großbritannien hat die Grüne Caroline Lucas erneut ihren Wahlkreis im wohlhabenden Brighton gewonnen, in den Niederlanden hat die Partei »GroenLinks« ihre Stimmen bei der letzten Parlamentswahl vervierfacht. Warum tun sich die deutschen Grünen so schwer mit einer sozialökologischen Programmatik?

 

Tun sie sich damit tatsächlich schwer? Das Grundsatzprogramm oder das Bundestagswahlprogramm sind sehr sozialöko-logisch orientiert. Aber man kann Sozialpolitik klassisch über Umverteilung oder modern über infrastrukturelle Veränderungen, Bildungspolitik und Familienpolitik definieren, wie Grüne es tun. Interessanterweise sind die Grünen in Deutschland gerade dort erfolg-reich, wo sie sich nicht traditionell links positionieren, sondern in der Mitte. 30 Prozent muss man in einem konservativ geprägten Land wie Baden-Württemberg erst einmal gewinnen, davon ist GroenLinks in den Niederlanden noch weit entfernt. Die kamen von 2,3 auf 9,1 Prozent — das ist beachtlich, aber nicht sensationell. Und die Rede, die Grünen in Baden-Württemberg seien eine Kopie der CDU, ist Blödsinn. Was dort in Sachen Bürgerbeteiligung bei Gesetzgebungsvorhaben, ökologischer Modernisierung und Digitalisierung passiert — da können sich andere eine Scheibe von abschneiden.

 

 

Sehen Sie eine Chance auf ein rot-rot-grünes Regierungs-bündnis nach der Bundestagswahl, wie es etwa Christoph Butterwegge (Die Linke) oder der grüne Europaparlamentarier Sven Giegold für erstrebenswert halten? 

 

Für erstrebenswert kann man vieles halten, aber Fakt ist, dass weder die Programmatik noch die Chemie zwischen den drei Parteien wirklich zusammenpassen. Vor allem aber ist ein solches Bündnis gegenwärtig meilenwert von einer Mehrheit entfernt. Da müsste bis zur Bundestagswahl schon ein Wunder passieren, damit es zu einer solchen Koalition kommt.