Bunte Vögel, Sternbilder und Dostojewski locken in die Philharmonie, Foto: Manfred Wegener

Operation Morgenluft

Die Kölner Philharmonie baut ihr Vermittlungsprogramm aus und schnürt

Angebotspakete zwischen kluger Musikpädagogik und handfester Pragmatik

Die Philharmonie bläst derzeit zur erwachsenenpädagogischen Offensive. Schließlich sollen nicht nur Kinder und Jugendliche an klassische Musik herangeführt, sondern auch die klassische Zielgruppe erweitert werden. Unter dem Namen »Musik entdecken« hat man nun die hauseigenen Vermittlungsprogramme auf einer zentralen Plattform zu bunten Angebotsbündeln geschnürt und baut zudem die Angebote aus. 

 

Das Programm »Blickwechsel« etwa verknüpft Konzerte mit anderen Disziplinen und setzt darauf, dass das eine Erlebnis auf das andere rückwirkt und insgesamt eine synergetische Erfahrung zeitigt. 

 

So kann man beim »Blickwechsel: Musik und Stadtnatur« (1. Oktober 2017) mit dem Ornithologen und Musiker Achim Kemper auf einer Exkursion im Lentpark Vogelstimmen analysieren und das so gewonnene Wissen hernach im Konzert auf die Pastoralen Beethovens und Brett Deans anwenden. Die Sinfonie des Australiers Dean aus dem Jahr 2000 nimmt neben der berühmten 6. von Beethoven und den vogelkundlerischen Exzessen Olivier Messiaens auch direkt Bezug auf Vogelstimmen, und zwar die seiner Heimat, dem subtropischen Queensland. Bleibt zu hoffen, dass die Kölner Vogelwelt in der frühherbstlichen Parklandschaft nicht nur aus kreischenden Halsbandsittichen besteht, sondern auch ein paar Rotkehlchen ihre perlenden Gesänge zum Besten geben. 

 

Ein anderes interdisziplinäres Musikbundle lässt gen Himmel blicken (15. Oktober 2017). Der Astrophysiker Jürgen Stutzki, Professor an der Uni Köln, erklärt im Planetarium das Sternbild Kassiopeia, das den Komponisten Andrea Lorenzo Scartazzini zum gleichnamigen Stück (2008) inspirierte. Der Basler Komponist und Rihm-Schüler Scartazzini, der zuletzt mit seiner Oper »Edward II.« für Furore sorgte, nimmt die quasi-symmetrische Erscheinung des Sternbildes auf und übersetzt sie in die kultisch-rituelle Form seiner Komposition.

 

Das sind sinnfällige Engführungen, die vor allem deswegen funktionieren, weil die präsentierte Musik ohnehin programmatischen Charakter hat. Schwieriger wird es, wenn Inhalte miteinander verknüpft werden, die auf den ersten Blick wenig bis nichts miteinander zu tun haben. So verbirgt sich etwa hinter Angeboten wie den »Domdachführungen« weniger durchdachte Musikpädagogik, sondern handfeste Pragmatik. Der Besuch des Konzertes der Irish-Folk-»Supergroup« The Gloaming (19. Oktober 2017) um Fiddler-Virtuosen wie Caoimhín Ó Raghallaigh und dem Afro-Celt-Sound-System-Sänger Iarla Ó Lionáird wird zumindest nicht dadurch erhellt, dass man zuvor die Wasserspeier des Doms besichtigt. Egal, Spaß wird die Kombi dennoch all jenen machen, die ein Faible für moderne Interpretationen keltischer Musik haben und immer schon mal dem Dom aufs Dach steigen wollten. 

 

Sinnfälliger ist da das Konzert von dem Orgelvirtuosen Francesco Filidei (27. Februar 2018), stellt es doch ein (Kirchen-)Instrument ins Zentrum, dass zugleich für Wandel und Kontinuität steht. Filidei bespielt nicht die Domorgeln, sondern die profane Pfeifenmaschine in der benachbarten Musikkathedrale und stellt bei seinem Spiel grundsätzliche Fragen, die eine philosophisch-spirituelle Dimension haben: Wann beginnt ein Ton? Vielleicht schon beim Luftholen, beim Anheben des Fingers über der Tastatur? Entsprechend arbeitet er mit dem, was sonst als störende Nebengeräuschen empfunden wird — mit dem Klappern der Registerzüge und dem Rauschen des Gebläses. Mit diesem erweiterten Musikverständnis passt er zumindest soundtechnisch besser in den Konzertsaal mit seiner ausgeklügelten Akustik. Gleiches gilt für die u.a. von ihm aufgeführten Stücke von Hèctor Parra (»Tres miradas«, DEA), Mauro Lanza (»Negativo«) und Philipp Maintz (»ferner, und immer ferner«), die Einblick geben in den Stand zeitgenössischer Orgelliteratur. Parra etwa lässt im Klangbild seines 2016 entstandenen Stückes zeitweilig die Grenzen zwischen mechanischer und elektronischer Musik verschwimmen und verbindet den sakralen Ur-Synthesizer mit seinen weltlichen elektronischen Nachfolgern. 

 

Ganz pragmatisch sollte man die Verbindungen von Konzerterlebnis und Kulinarik bewerten.
So kann man vor dem Genuss Rachmaninow’scher Klavierstücke in einem russischen Restaurant speisen und sich dabei Exzerpte aus Romanen von Tolstoi, Dostojewski und Tschechow von einem Schauspieler vorlesen lassen (4. Februar 2018). Die Frage, ob der spätromantische Pathos nur verdauungsfördernd wirkt oder auch bei der hermeneutischen Exegese Dostojewski´scher Abgründe behilflich ist, ist dabei vernachlässigenswert. Hauptsache Musik und Essen liegen nicht allzu schwer im Magen.