Ein schwieriger Spagat

Wie hat sich im letzten Vierteljahrhundert die Filmproduktion in Afrika entwickelt?

Ein Überblick über einen komplexen Kontinent

Im Juni 1992 präsentierte die erste Ausgabe des Afrika Film Festivals, damals noch unter dem Titel »Jenseits von Europa — Filme aus Afrika«, vier Tage lang Werke aus Westafrika in Köln. Im selben Jahr drehte der nigerianische Regisseur Chris Obi-Rapu mit »Living in Bondage« einen Film, der die nigerianische Filmindustrie revolutionieren sollte: Er löste einen Boom von Videoproduktionen aus, der unter dem Schlagwort Nollywood bekannt wurde. Ein junger Mann bringt darin auf der Suche nach Erfolg seine Frau einer Sekte als Opfer dar und wird anschließend von ihrem Geist verfolgt.

 

Der Fokus des ersten Festivals auf Westafrika und die Produktion von »Living in Bondage« stehen für zwei noch immer getrennte Welten des afrikanischen Kinos: auf der einen Seite das französischsprachige Kino, auf der anderen jene Filme, die auf Englisch gedreht werden. Wie wirkmächtig diese Sprachgrenze bis heute ist, zeigt sich beim Blick auf die Preise des wichtigsten Filmfestivals des afrikanischen Kontinents — dem Panafrikanischen Film- und Fernsehfestival in Ouagadougou, abgekürzt Fespaco: Nur zwei Mal im Laufe der letzten zehn Ausgaben von Fespaco hat ein englischsprachiger Film den Hauptpreis gewonnen.

 

Diese Sprachgrenze scheint durch die Fördertöpfe, die Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre in Europa entstanden, noch verstärkt worden zu sein. Vor allem das frankophone Kino wäre ohne diese Gelder heute beinahe undenkbar. Seit 1984 existiert in Frankreich der Fonds Sud Cinéma, der zum Ziel hat, die »Kinodiversität in der Welt« zu fördern. Seit 1989 gibt es den europäischen Filmförderfonds Eurimages.

 

2011 konstatierte der amerikanische Filmwissenschaftler Jonathan Haynes, Afrika sei fast von Anfang an Teil der globalen Filmwirtschaft gewesen, jedoch vor allem als Deponie für die Zweitverwertung US-amerikanischer B-Filme, die von afrikanischen Wirklichkeiten und Belangen nichts erzählen. »Aufgrund seiner hohen Anforderungen ist Kino fast überall von staatlichen Beihilfen abhängig. Doch die postkolonialen afrikanischen Staaten haben sich, wenn es darum geht, solche Hilfen bereitzustellen, noch jedes Mal als gleichgültig, korrupt oder unfähig erwiesen.« In dieser Lücke agieren die europäischen Filmfördertöpfe. Die Frage ist, welche Auswirkungen diese Koproduktion auf die Darstellung dessen hat, was Haynes »afrikanische Wirklichkeiten und Belange« nennt.

 

Filmförderung findet nicht im luftleeren Raum statt, vielmehr gehorcht die Bewertung, welche Geschichte als erzähl- und damit förderwürdig erachtet werden und welche nicht, auch politischen Gesetzen. Das zeigt sich vor allem bei Filmen aus Nordafrika, das wegen seiner direkten Nachbarschaft zu Europa lange ein besonders bevorzugtes Ziel von Förderungen war. Mitte der 1990er Jahre rief die Europäische Union und zwölf Anrainerstaaten des Mittelmeeres die EU-Mittelmeer-Partnerschaft ins Leben. Anfang der 2000er Jahre folgte das erste von bislang drei Förderprogrammen für Film in diesem Kontext. Einer der ersten Koproduktionstrends, die aus diesem Förderprogramm im Schatten der Anschläge vom 11. September hervorgingen, waren Filme über den Islamismus und die politischen Wirren in Algerien, das Anfang der 1990er Jahre nach dem Wahlsieg der islamistischen Heilsfront und dem anschließenden Militärputsch gegen diesen Wahlsieg in einem Bürgerkrieg zwischen Islamisten, Militärs, Geheimdienst und verschiedenen Fraktionen der Regierungspartei (und ehemaligen Einheitsfront der Befreiungsbewegung) FLN versank.

 

Etwa zeitgleich vollzog sich in gleich zwei englischsprachigen Ländern Afrikas, die nicht zufällig zu den größten des Kontinents gehören, auch ohne einen ähnlichen Einfluss von europäischen Fördergeldern eine Wende. Die südafrikanische Filmindustrie nahm einen Aufschwung, der mehr oder weniger bis heute anhält. Sichtbarstes Ergebnis dieses Aufschwungs war wahrscheinlich die Oscar-Nominierung für »Tsotsi« 2006. Auch die Filmproduktion in Nigeria gewann in dieser Zeit an Fahrt. Diese neue Welle setzt nicht länger vorrangig auf billige Videoproduktionen. In beiden Ländern stellt die Filmindustrie mittlerweile einen nicht unbedeutenden Wirtschaftszweig dar. Das Selbstbewusstsein der nigerianischen Filmindustrie spricht nicht zuletzt aus der Verleihung der dort gegründeten African Movie Academy Awards. Anders als bei den Fespaco-Preisen ist hier die Bilanz zwischen französischsprachigen und englischsprachigen Filmen trotz eines nigerianischen Übergewichts halbwegs ausgeglichen.

 

Auch die traditionsreiche ägyptische Filmindustrie scheint den Sturz Hosni Mubaraks und den Putsch des ägyptischen Militärs unter Abd al-Fattah as-Sisi gegen den Islamisten Mohammed Mursi halbwegs überlebt zu haben. Ahmad Abdalla hat 2014 mit »Décor« einen der poetischsten politischen Filme dieses Jahrzehnts realisiert und auch ein Veteran wie Yousry Nasrallah wagte sich zuletzt mit »Brooks, Meadows and Lovely Faces« wieder an ein politisches Thema. Nigeria, Südafrika und Ägypten sind ein Hinweis darauf, dass ein nachhaltiger Aufbau einer afrikanischen Filminfrastruktur nur dann möglich ist, wenn Filmindustrien auf die Erschließung lokaler Märkte setzen und weniger auf ein durch europäische Fördergelder am Leben gehaltenes Festivalkino. Andererseits wird ein finanziell lukrativer Erfolg im Ausland nur möglich sein, wenn die Einspielergebnisse aus der lokalen Auswertung Schauwerte ermöglichen, die internationalen Sehgewohnheiten entsprechen. Die Produktion von Kinofilmen in Afrika bleibt ein schwieriger Spagat.