Festivalmacher Stefan H. Kraft (links) und Jörg Fürst, Foto: Dörthe Boxberg

Performance, Polarisierung, Party

Mit URBÄNG! präsentiert die Freihandelszone ein neues Festival, das die Stadt performativ unter die Lupe nimmt

Irgendwie ist es ja verständlich, wenn wir uns im Angesicht des Weltzustands einfach nicht mehr zufrieden geben mit einem guten kritischen Theaterabend oder einer aufregenden Performance. So ging es auch den Machern des internationalen Festivals Globalize:Cologne. Letztes Jahr, zur zehnten Ausgabe schaffte sich das Festival konsequenterweise ab, um sich neu zu erfinden. Nicht um die Internationalität einzutauschen, sondern weil diese längst Realität der Kölner Theaterwelt ist. Ein Gespräch mit Jörg Fürst und Stefan H. Kraft von der Freihandelszone. 

 

Euer neues Festival nennt sich »Urbäng!«. Was verbirgt sich programmatisch hinter diesem Titel, der, nun ja, ein bisschen albern klingt.

 

Jörg Fürst: Wir wollten damit tatsächlich etwas Spielerisches, Offenes ausdrücken. Nach zehn Jahren Globalize haben wir festgestellt, dass wir bestimmte Menschen einfach nicht erreicht haben. Uns geht es darum, unseren Expertenkreis zu durchbrechen. Deshalb haben wir uns im Vorfeld des Festivals schon an andere Veranstaltungen angedockt, ganz frech parasitär. Mit unserem Truck sind wir beim »Tag des guten Lebens« in Deutz und beim Projekt »Die Stadt von morgen« vom Schauspiel aufgetaucht und haben unsere eigenen Programmpunkte angeboten. Wir wollen mit »Urbäng!« Teil des Diskurses über die Zukunft sein. 

 

Die Zukunft der Stadt Köln? 

 

Fürst: Wir leben in einer Stadt, die in den nächsten Jahrzehnten vielleicht um 200.000 Einwohner wachsen wird, das ist die Größe von Mainz. Deshalb liegt unser neuer Fokus auf dem Thema Stadtentwicklung und der Frage, wie wir zukünftig zusammen leben wollen. Unseren internationalen Anspruch geben wir natürlich nicht auf.

 

Wie spiegelt sich das im Festival?

 

Stefan H. Kraft: Schon die Eröffnungsveranstaltung »Suddenly everywhere is black with people« schafft Begegnung. Marcelo Evelin hat sich von Elias Canettis »Masse und Macht« inspirieren lassen und will Masse physisch spürbar machen. Seine Performer, sie kommen alle aus Brasilien, stehen zwischen den Zuschauern in einem ansonsten leeren Raum. Sie sind nackt und schwarz angemalt. Das erzeugt sehr schnell Konfrontation, Reibung. Für Canetti ist Masse ja nicht nur eine Versammlung vieler Menschen, sondern er hält das Sein in der Masse für einen natürlichen Umstand des Daseins an sich.

 

Die Erfahrung von Masse als Seinsform taucht häufiger im Programm auf. Einige Produktionen gehen sehr nah an den Zuschauer ran.

 

Kraft: Es ist unser Versuch, die Wahrnehmung für die Präsenz der anderen zu verstärken. Auf dem Festivalgelände der Orangerie werden wir einen lebendigen Ort der Begegnung zu schaffen. Es gibt nicht nur die Bühne, eine Bar, Essen, Filme, Publikumsgespräche, sondern auch kleinere Begleitveranstaltungen wie die Burlesquke-Show »Mademoiselle Lychee« der englischen Puppenspielerin Aya Nakamura, die man kostenlos besuchen kann.

 

Fürst: Eine weitere Frage, die wir während des Festivals stellen, ist, wie leben unsere neuen Mitbürger, geflüchtete Menschen. Wir wollten geflüchtete Menschen aus ihrer anonymen Masse herauslösen und sie gemäß ihrer Profession befähigen, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Deswegen gibt es das EU-Projekt »Performances(s) between two shores« gemeinsam mit fünf europäischen Partner-Festivals. Wir haben drei Theater- und Tanzproduktionen von in die EU emigrierten arabischen Künstlern co-produziert und zeigen sie jetzt als Deutschlandpremieren.

 

Unter anderem ist »Transaction« des syrischen Choreografen Mitkal Alzhgair zu sehen, der in Europa gerade richtig durchstartet.

 

Fürst: Es geht um die Wirkung von Bildern aus Kriegsregionen. Vier Performer aus Syrien und Frankreich hängen in Gurten von der Decke und lassen Körperbilder entstehen. Sehr interessant wird auch »Three Rooms«. Das Team besteht aus einer amerikanischen Regisseurin, einer türkischen Schriftstellerin und einer syrische Schauspielerin. Die letzteren beiden konnten während der Probenzeit nicht ausreisen. Sie haben via Skype »geprobt«, was sie jetzt auf der Bühne bringen. Die Regisseurin ist anwesend, während die anderen beiden zugeschaltet werden. Sie suchen sich dann Stellvertreter aus dem Publikum, die sie als sie selbst inszenieren.

 

Ihr habt ein weiteres Projekt mit Geflüchteten, das »Around the Fireplace« heißt.

 

Fürst: Der Musiker Frank Schulte und der Koch und Künstler Oliver Schneider bauen eine große, fast archaische Küchen-Installation mit Schneide-Stationen und riesigen Woks. Darum sitzt das Publikum herum, wie damals am Lagerfeuer. Es wird live gekocht, asiatisch übrigens, und die Geräusche, die währenddessen entstehen, werden als Konzert gesampelt. Dafür verkaufen wir 35 Karten,  mit dem Kauf einer Karte lädt der Zuschauer einen geflüchteten Menschen ein.

 

Um sich gemeinsam die Performance anzusehen? 

 

Fürst: Erstmal. Nach siebzig Minuten wird schließlich eine lange Tafel aufgebaut und gemeinsam gegessen. Man kann sagen, der Gastgeber, sprich: Käufer der Karte, schenkt sich und seinem Gast eine Begegnung, die sonst nicht stattgefunden hätte.

 

Dass heißt, euch geht es nicht darum, Flüchtlingsbiografien auszustellen, die man sich »ansehen« kann? 

 

Fürst: Nein. Es geht uns wirklich darum, unser Publikum zu überschreiten, Begegnung zu schaffen. Wir wollen Teil der Auseinandersetzung über die Stadtentwicklung werden, mit den Positionen, die wir auf dem Festival präsentieren.