Weiß, dass die Sprache des Pop universal ist: Mahmoud Refat, Foto: Islam Chipsy

Pragmatismus global

Produzent und Labelchef Mahmoud Refat ist »Pate« der Kairorer Pop-Szene.

Jetzt tritt er auf der Kölner Konferenz »Digging the Global South« auf

Mahmoud Refat ist ein viel beschäftigter Mann. Der ägyptische Musiker spielte gerade mit Islam Chipsy auf Norwegens wichtigstem Festival für elektronische Pop-Musik, Insomnia, danach geht es weiter nach England, in die Schweiz und die Niederlande. Islam Chipsy & E.E.K., so der komplette Name der angesagten Electro-Shaabi-Kombo, eilt der Ruf voraus, ein elektrisiertes Publikum zu hinterlassen. Nicht ohne Grund nennt man ihre Musik auch Mahraganat, was so viel wie »Festival« oder »Feier« bedeutet. Ursprünglich spielte man sie auf arabischen Hochzeiten, seit einigen Jahren wird die in Ägypten extrem populäre Straßenmusik aus der 20-Millionen-Metropole Kairo auch gern im Westen gebucht. Ob dieses Jahr in Brooklyn beim Redbull-Festival oder Ende 2016 im Café Oto, der derzeit wichtigsten Londoner Avantpop-Venue — die Medien überschlagen sich in ihrem begeisterten Tonfall.

 

Zwischendurch nimmt Refat, der nebenbei auch noch als Labelchef von 100Copies, Produzent und Impresario der subkulturellen Kairoer Szene agiert, an der Kölner »Digging the Global South«-Konferenz teil. Es geht dort um Produktionsbedingungen von Popmusik, um Aneignung von Symbolen und den Exotismus der Rezeption. 

 

Refat, der mit Bands wie Bikya für die ägyptische Subkultur wegweisende Alben eingespielt hat, macht am Anfang unseres Telefonats klar, dass die Musiker in Ägypten den gleichen Problemen wie ihre Kollegen anderswo auf der Welt gegenüberstehen: »In Ägypten lädt sich niemand für Geld Musik bei iTunes herunter, niemand bezahlt für Musiksoftware. Es wird geteilt, gehackt und gecrackt.« Dass der globalisierte Markt mit seinem unersättlichen Hunger nach neuen, exotischen Sounds die Musiker auf ihre regionalen Wurzeln zurückwirft (Electro Shaabi), findet er nicht weiter problematisch. Die große Technoszene in Kairo etwa, so Refat, würde sich eben nicht weiter von der in einer europäischen Großstadt unterscheiden, deswegen seien die ägyptischen DJs auch nicht international gefragt. 

 

Refat wirkt etwas müde, spricht man ihn auf die politische Situation in Ägypten an. Seit Jahren muss er Fragen von ausländischen Journalisten nach Auswirkungen des arabischen Frühlings auf die Subkultur Kairos beantworten. Seine Antwort ist kurz: Es gibt keine. Die Underground-Szene in Kairo bestehe, so Refat, mindestens seit Ende der 90er Jahre; das einzige, was sich seit 2011 verändert habe, sei die Aufmerksamkeit, die der Westen der Subkultur im Nahen Osten seither schenke. Auch das Bild, das vornehmlich in westlichen Medien vom gegenwärtigen Ägypten gezeichnet wird — das eines repressiven Militär-Regimes, das deviante kulturelle Äußerungen rigoros unterdrückt — teilt er offenbar nicht. Den Fall der libanesischen Popgruppe Mashrou’ Leila, die kürzlich wegen einer auf ihrem Konzert geschwenkten Regenbogenfahne (das internationale Zeichen der LGBTQ-Gemeinde) mit einem Auftrittsverbot in Ägypten belegt wurde, möchte er nicht kommentieren, solange er nicht die genauen Vorwürfe der Behörden kennt. Er lehne natürlich Zensur und Kriminalisierung wegen einer geschwenkten Fahne ab, ihm sei aber in seiner über 20 Jahre währenden Laufbahn als Musiker noch kein Fall einer schwerwiegenden Zensur bekannt geworden. 

 

Refat distanziert sich sichtlich vor einer Dramatisierung der Verhältnisse in seiner Heimat. Er sieht zwar die vielfältigen Probleme, denen das Land gegenwärtig begegnen muss, meint aber, dass bestimmte westliche Medien dazu tendieren, die Lage zu skandalisieren. So zumindest scheint es der 42-jährige Familienvater, den seine musikalischen Partner gerne Pate nennen, zu empfinden, wenn er sagt, dass er einfach in Ruhe seine Arbeit machen wolle und ihn dabei tatsächlich niemand in Kairo störe. Wirklich schwierige Hindernisse seien lediglich die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen er seine Arbeit tun muss. Die Finanzierung etwa des D-CAF, Downtown Contemporary Arts Festival, das im Frühjahr dieses Jahres zum vierten Mal stattfand und das Refat seit Beginn an mitgestaltet, sei sehr schwierig gewesen, man habe empfindliche Abstriche machen müssen. Das dreiwöchige Festival für Gegenwartskünste ist immerhin das bisher einzige seiner Art in Ägypten und hat Leuchtturmcharakter. Im Vorfeld waren Sponsoren abgesprungen, sodass das von ihm kuratierte musikalische Programm hätte eingedampft werden müssen. Dass die ägyptische Regierung das Festival nicht subventioniert (D-CAF wird hauptsächlich durch europäische Kulturinstitutionen finanziert), sieht er mit ostentativer Gelassenheit: Im Gegensatz zum reichen Deutschland gebe es hierfür in Ägypten keine Mittel. 

 

Man kann Refat einen geradlinigen Pragmatiker nennen, einer der schlicht mit dem umgeht, was ihn umgibt. Er erwartet von seiner Regierung nichts. Doch treiben ihn offensichtlich Enthusiasmus und Idealismus an. Die werden spätestens dann bemerkbar, wenn er über sein Projekt mit jungen ägyptischen Komponistinnen spricht, die 2013 erstmals erschienene Zusammenstellung »Egyptian Females Experimental Music Session« soll bald eine Fortsetzung finden. Refat führt die Zusammenarbeit mit den Komponistinnen im Gedenken an einen Freund fort: Die Künstlerinnen waren Schüler des 2011 bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz von Polizeikugeln getöteten Documenta-Künstlers Ahmed Basiony.

 

 

Digging the Global South befragt die Situation der Popkultur im sogenannten Globalen Süden, der seit geraumer Zeit die »Realitätsreserve« für den leergelaufenen Kulturbetrieb der wohlhaben-den Nationen bereitstellt. Kuratiert wird die Konferenz Thomas Gläßer, der mit seiner »Reconstructing Song«-Reihe schon seit Jahren den globalen Klang-Diskurs erforscht.

 

StadtRevue präsentiert

 

Konzerte, Gesprächsrunden, Filme: 2.–4.11., »Digging The Gobal South. Future Sounds from Africa and Beyond« 

 

Stadtgarten und Studio 672, detailliertes Programm im Tageskalender und in unserer Konzertvorschau