Perfektionistischer Handarbeiter: Ahmad Saleh, Foto: Heiko Specht

Trost durch Poesie

Das Kurzfilmfestival Köln präsentiert den Animationsfilm »Ayny« des KHM-Absolventen und Studenten-Oscar-Gewinners Ahmad Saleh. Ein Porträt

Ahmad Saleh ist gerade nicht in seiner Wohnung in Köln-Mülheim. Unser Gespräch findet per Skype zwischen Köln und der jordanischen Hauptstadt Amman statt, wo er seine Familie besucht und seinen neuen Film vorbereitet. Das geht Hand in Hand. In seine Animations-Produktionen sind immer auch nahe Verwandte eingebunden: Die Herstellung der filigranen Püppchen, ihrer akkuraten Kostümchen, die atmosphärischen Kulissen erfordern eine Unmenge Handarbeit.

 

»Ayny«, sein letzter Stop-Motion-Trickfilm, beginnt mit der Flucht aus einer zerstörten Städtelandschaft. Mit einer Blume, die für jedes zerstörte Haus wächst, pflanzt eine Mutter ihren zwei Söhnen die Hoffnung auf eine neue Heimat ein. Um eine Oud — die arabische Laute — kaufen zu können, sammeln die Jungen Altmetall. Doch ein Schicksalsschlag scheint ihren Traum vom Musizieren auf immer zu zerstören. Saleh erzeugt einen filmischen Naturalismus, der allerdings gebrochen wird durch nur im Puppenfilm mögliche Effekte. Die Gesichter wirken unglaublich ausdrucksstark, Kostüme und Bühnenbild sind mit filigraner Perfektion ausgearbeitet. »Ayny« brachte Saleh 2016 einen Studenten-Oscar ein. »Das hat mir schon Türen geöffnet, bei Kontakten geholfen und auch bei der Finanzierung meines neuen Films«, erzählt er.

 

Saleh wurde 1980 in Saudi-Arabien geboren, als Palästinenser mit jordanischem Pass. Nach einem Ingenieursstudium verließ er Palästina und das Chaos der zweiten Intifada. Zunächst schrieb er Kurzgeschichten. Als er von dem offenen Bewerbungserfahren deutscher Kunsthochschulen hörte, bewarb er sich in Bremen, wo an der Hochschule für Künste 2012 sein erster Film »House« entstand. Über einen Job in Düsseldorf gelangte er schließlich an die Kölner Kunsthochschule für Medien.

 

Zur palästinensischen und arabischen Community halte er nur losen Kontakt, erzählt er, schließlich suche er den Austausch mit der deutschen Kultur. Im Kunstkontext treffe man auch — anders als etwa in technischen Berufszweigen — kaum auf Akteure aus dem arabischen Raum. Als er mit der KHM in einer Kölner Flüchtlingsunterkunft den japanischen Animationsfilm »Ponyo« gezeigt hat, freundete er sich aber schnell mit syrischen Kindern an. Bei der Vorführung des niedlichen Films über eine Meerjungfrau hielt sich ein Mädchen ängstlich die Augen zu und erklärte: »Ich hasse das Meer, es verschlingt die Menschen.«

 

Seine eigenen Filme zeigt er auch in seiner alten Heimat. In Jordanien und Palästina werden seine Arbeiten aber nicht als Animationsfilme verstanden, sondern eher im Kontext oraler Traditionen gesehen. Dem kommt entgegen, dass er seine poetische Erzählstimme über das Geschehen legt. Im bürokratischen Deutschland gibt es eher Probleme, seine Arbeiten bei Förderanträgen zu kategorisieren: Verlangt wird ein fertiges Drehbuch mit Dialogen, doch die genaue Gestalt seiner Filme entwickelt sich erst beim Dreh, Dialoge gibt es nicht.

 

Salehs formbewusster, stilsicherer Umgang mit den Puppen entspringt keiner lokalen Tradition, sondern der Wahrnehmung der Besatzungssituation in den Lagern: »Die Menschen dort müssen ständig absurde und ergebnislose Dinge wiederholen, Genehmigungen einholen und wirken mitten in der Realität wie an Fäden aufgehängt«, erzählt er. Dem entspricht die Empfindung des Zuschauers seiner Filme: zwischen dem völligen Eintauchen in die Erzählung und dem erneuten Bewusstwerden der Künstlichkeit. Das Puppenspiel abstrahiert und distanziert und ermöglicht so eine leichtere, unbefangene Annäherung an schwere Themen.

 

Sein aktuelles Projekt ist eine deutsch-arabische Koproduktion, das Storyboard entwickelt er mit Basil Nasir, einem Palästinenser, den er in Deutschland kennengelernt hat. Gemeinsam haben sie vor kurzem ein Projekt in Ramallah umgesetzt: ein Loop, der auf die berüchtigte Mauer zwischen Israel und Palästina gebeamt wurde. Im neuen Film sammelt ein Geschichtenerzähler die Erzählungen verschiedener Menschen über ihre Schlaflosigkeit. Aus finanziellen Gründen wird zunächst nur eine Episode realisiert, erklärt Saleh: »Es ist die Geschichte einer Frau, die mir auf der Straße zurief: ›Sag mir, dass mein Kind tot ist!‹ Ein schrecklicher Satz«. Er erklärt sich aus der Überforderung einer Mutter, die die Hoffnung nicht mehr aufrechterhalten kann, ihr vor langer Zeit verschwundenes Kind sei noch am Leben. Auch dieses tieftraurige Thema wird Ahmad Saleh wahrscheinlich wieder poetisch, anrührend und hoffentlich mit der Hoffnung auf einen gewissen Trost umsetzen.

 

»Ayny«: Fr 17.11., Filmforum im Museum Ludwig, 19 Uhr

 

Kurzfilmfestival Köln

 

Das Kurzfilmfestival feiert Kölsches Jubiläum: Zum 11. Mal präsentiert das Team eine Auswahl der besten Filme bis 45 Minuten Länge. Im Zentrum steht der Deutsche Wettbewerb, in dem dieses Jahr 25 Filme in fünf Programmen um die Preisgelder konkurrieren. Arbeiten von Kölner Filmemachern gibt es traditionell im »Kölner Fenster«. International wird es an den drei Abenden mit dem  Jubiläumsprogramm »Best of Festivals«. Mit dem Spotlight für Michael Klöfkorn wird einer der wichtigsten deutschen Filmemacher geehrt, der zwischen Musikvideo und Videokunst schon so ziemlich die gesamte Bandbreite kurzer Formen bearbeitet hat. Für alle, die Inspiration jenseits etablierter Formen suchen, ist die spannendste Sektion des Festivals die Reihe »New Aesthetic«, in der die Grenzbereiche zwischen Kurzfilm, Netzkunst, Games und interaktiver Kunst ausgelotet werden. Für Menschen, die Probleme haben, im Kino ruhig zu sitzen, gibt es während des Festivals die beliebten »Shorts on Wheels«. Auf einer gemeinsamen Fahrradtour durch die Innenstadt wird dabei immer mal wieder Halt gemacht, um mit einem mobilen Beamer Kurzfilme zu zeigen.

 

Mi 15.11.–So 19.11., div. Orte.
Infos: kffk.de