Fürs Fotoshooting extra ganz lieb: Idles

Böse Überraschung beim Golfen

Bei den Idles, den Neo-Punks aus Bristol, strömt der Hass aus

allen Körperöffnungen

Der Stilkorridor britischer Rockmusik ist schmal. Der Britpop der 90er und der Hype um Franz Ferdinand und die Arctic Monkeys vor zehn Jahren haben eine fatale Pfadabhängigkeit geschaffen. Stets klingt britischer Rock leicht distanziert, selbst die Ekstase muss stilvoll sein — am besten auch sie ein Zitat —, die Harmonien sind so weit »reduziert«, bis die Songs kühl klingen, die Rhythmen sind straight und die Melodien vorhersehbar. Innerhalb dieses strengen Schemas hätten die Idles die Rolle der Angry Young Men inne, der Berserker mit Kunstdiplom, die privat Grime, alten Reggae und Miles Davis hören. Man würde kurz hinhören: Gut, diesen Part muss ja auch jemand übernehmen, und dann wäre die Band, im Heimat-land natürlich hysterisch gehypt, schon wieder halbvergessen.

 

Aber die Zeiten sind andere. Großbritannien ist politisch zu-tiefst gespalten, ökonomisch sowieso, nirgendwo anders in Europa hat der Rechtspopulismus mit dem Gewinn der Brexit-Abstimmung einen so großen politischen Erfolg gefeiert, nirgendwo anders in Europa hat sich eine linke sozialdemokratische Bewegung dermaßen kraftvoll neu entfaltet. Labour-Chef Jermy Corbyn galt noch vor einem halben Jahr als verkniffener Altsozialist, jetzt ist er der Held der Jugend. #Grime4Corbyn: Das war kein Marketing-Gag, sondern eine authentische und nicht von der Labour Party gesteuerte popkulturelle Bewegung. Sozialismus gehört also wieder zur Popkultur — nicht als Zitat oder Retrofuturismus, sondern als (letzte?) große Hoffnung eines von fast 40 Jahren Neoliberalismus ausgelaugten Landes. Kate Tempest, Fat White Family, Sleaford Mods, Roger Waters: Die Platten britischer Popstars werden wieder wie Manifeste gelesen, wie Kommentare zum betont linksoffen-siven Wahlkampf Corbyns. Und richtig, selbst Waters, der sich längst in ein Paralleluniversum aus Narzissmus und monströser Belanglosigkeit katapultiert hatte, wird durch die Wucht der widersprüchlichen politischen Ereignisse zu guten Songs genötigt.

 

Darum sind auch die Idles kein vergangenheitsbesessenes »Projekt«, das sich nach einer handvoll langweilig stilvoller Songs in Wohlgefallen auflösen wird. Obwohl auch sie die letzten zwanzig Jahre britischer Rockmusik nicht ab-schütteln können, randalieren sie doch ganz gehörig im Stilkorridor. Sie überlasten ihren Punk, vom dem sie sagen, es sei gar keiner, mit einem Maximum an Energie, bis über die Grenze der Verzerrung hinaus. Bis zur Statik des weißen Rauschens. Nichts daran soll ästhetisch wertvoll sein. Denn in erster Linie sind die fünf Musiker: hässlich. Schnurrbärte, schlecht gefärbte Haare, anachronistische Frisuren, Bierbäuche, aufdringliche Tattoos. Das ist ihnen wichtig, stammen die fünf Musiker doch aus Bristol, Stadt der sanften, schwelgerisch-elegischen Popmusik, aus der dann TripHop wurde und die auf den Namen Portishead hörte. Dafür haben die Jungs um Sänger Joe Talbot und Bassist Adam Devonshire, die vor fünf Jahren die Band gründeten, nur vulgäre Kommentare übrig.

 

Auf der Bühne: stiere Blicke, Zähnefletschen, stumpfes Brüllen ins Mikrofon, ungelenke, verrenkte Bewegungen. Im Video zu »Stendhal Syndrome« hüpft, tanzt, stolpert und grimassiert sich Devon-shire durch Ausstellungen von klassischer und moderner Kunst, Besucher reagieren verstört. Es ist nicht respektvoll, Devonshire ist nicht elegant, die Aktion (offenbar im Guerillastil gedreht) ist nicht doppelbödig, es geht schlicht um die Aufkündigung eines Einverständnisses: dass Museen abseits unseres Alltags stehen und sie und die von ihnen kanonisierte Kunst höhere Werte repräsentieren. Die Idles sind die Neo-Barbaren des schlechten Geschmacks. Brecht hat mal gesagt: Kultur ist ein Palast, der aus Hundescheiße gebaut ist. Würden die Idels sofort unterschreiben. So klingt ihre Musik.

 

Joe Talbot lehnt es ab, seine Band als politische zu kategorisieren, sie schreiben auch keine Polit-Songs. Aber alles um sie herum sei nun mal politisch. Wenn er abends in die Kneipe geht, dann nicht um den Duft der Großstadt zu inhalieren, ihren »beautiful noise«, von dem Neil Diamond so verheißungs-voll sang. Talbot: »I’m not there saying tonight’s going to be a good night, I’m saying, I hate that Tory prick.« Hass auf die Konservativen (die Tories), in UK die Kaputtmacher des Sozialen  — er liegt in der Luft. Talbot ist der Abgehängte, der weiß, wo die Jungs aus der Oberstadt Golf spielen. Jetzt schlendert er über den Golfplatz und kackt in die Löcher. Nein, es geht in ihrer Musik wirklich nicht um Verfeinerung.

 

Dabei hätte die Band das Zeug dazu. Der Titel ihres im letzten Frühjahr erschienenen Debüt-Album, an dem sie, erstaunlich genug, zwei Jahre gearbeitet haben, heißt: »Brutalism«, und meint — wortwörtlich — eine derbe, unge-filterte, unrelativierte Musik. »Brutalism« meint aber kunst- und so-zialhistorisch eine nicht zuletzt in Großbritannien eindrucksvolle Architekturbewegung, die strikt aus nacktem Beton, in wuchtigen Form und ohne Rücksicht auf Konventionen für die Massen planen und bauen wollte. Die Idles kennen sich also sehr wohl mit Doppeldeutigkeiten und der Taktik der Referenzen und Andeutungen aus. Aber das bleibt ganz auf der Ebene des Symbolischen, ebenso wie die Hommage an Talbots Mutter, die während der Aufnahmen nach langer Krankheit verstarb und der das Album gewidmet ist. Musikalisch lassen sie (noch) keine Zwischentöne zu. Vielleicht ist die Reinheit ihres Non-Konformismus‘ nur ein Moment, und ihr nächstes Album könnte schon so belanglos wie so viele zweite Alben einst hoffnungsvoller britischer Bands sein. Aber es ist ihr Moment, und er ist unendlich erleichternd.