»Mir war klar, dass der Tod nicht das Ende sein darf«

Bei den Dreharbeiten zu seinem Reisedoku­mentarfilm Untitled verstarb Regisseur Michael Glawogger. Editorin Monika Willi hat sein Projekt vollendet — ein Gespräch


Michael Glawoggers Plan war es, bei einer Weltreise zu filmen, was er erlebt, ganz ohne vorherige thematische Festlegung. Er hat mir gegenüber davon gesprochen, er wolle »glückliche Zufälle ermöglichen«. Daraus sollte dann »Untitled« entstehen. Wieviel Freiheit gab es beim »Film ohne Namen« tatsächlich, etwa bei der Routenwahl?

 

Auch dieses Projekt hat lästigen Pragmatismus gebraucht. Man kommt in viele Länder nur mit Visa. Die Basis muss vorbereiten, wann und wie lange man an welchem Ort sein darf. Vor allem braucht man immer einen Fixer (Kontaktmann, Anm. der Redaktion) vor Ort, insofern zwingt dich die Realität, Pläne zu machen. Man kann mit einem roten VW-Bus nicht einfach durch die Welt gondeln. Der Anfang der Reise war immer klar: die »bare brick«-Bauten auf dem Balkan haben Michael immer fasziniert. Warum gibt es in ganz Ex-Jugoslawien so viele Häuser, die nicht fertig sind? Dieses Unverbaute, Unverputzte hat ihn beschäftigt. Ab Albanien war es dann schon zufälliger. Die größte Angst, den größten Respekt hatte Michael vor Afrika. Er wusste, dass man dort in heikle Situationen kommen kann. Wir reden nicht von Mücken, …

 

 

… sondern von bürgerkriegsähnlichen Zuständen?

 

Ja, die hat er selbst erlebt. Gleichzeitig hat eine Mitarbeiterin viel zu Russland recherchiert. Es gab eine mexikanische Freundin, die etwas zu ihrem Land vorbereitet hat. Nach seinem Tod habe ich gehört, dass Michael mindestens fünf Präsidenten im Film haben wollte. Ich glaube, da war noch sehr viel in Planung. »Glückliche Zufälle« ist auch wegen des Schnitts so stimmig. Beim Dokumentarfilm ist das wie eine zweite Reise, bei der man Juwelen entdeckt, die man gar nicht gesucht hat. Man sieht ganz andere Dinge: einen Mann etwa, der jetzt als eine Art Alter ego für Michael dient mit seinem Hund — Michael war total erstaunt darüber, dass ich den so toll finde.

 

 

Das heißt, es wurde von Anfang an parallel zum Dreh geschnitten?

 

Die Harddisks mit dem Drehmaterial kamen in Zwei-Wochen-Abschnitten, manchmal monatlich, ich hab wahrscheinlich sieben, acht Lieferungen in der Zeit bekommen und begonnen, einzelne Sequenzen zu schneiden. Das war am Anfang wirklich schwierig, weil es nicht möglich war, etwa aus sechs Stunden Fahrten entlang zerschossener Häuser und Ruinen etwas zu machen, was irgendeine Art von Handlung hat. Ich wusste nicht, was vorher und was nachher kommt. Das geht erst, wenn man einen größeren Bogen hat. Ich bin definitiv jemand, der etwas tut, um sich dann anzuschauen, was er getan hat; und um es dann umzugestalten oder ganz zu verwerfen. Aber mir war klar, dass der Tod, das Verschwinden, nicht am Ende des Films sein darf. Das war eine Prämisse. Nach Albanien musste ich gegen Ende hinführen, denn das war Michaels Paradies. Es war ein Versprechen, das ich ihm gegeben hatte. Es war mir wichtig, ihn in sein Paradies zu führen.

 

 

Warum gerade Albanien?

 

Wegen der Weihnachtsepisode. Wir haben uns immer lustig gemacht und gesagt: »Das ist nicht das Paradies!« Ich bin in Tirol aufgewachsen, ich kenne die Bergbauern besser als Michael. Oft hat sich herausgestellt, dass manche Bilder nicht gehen. Eine großartige Szene zeigt Affen, die sich entlausen — ich könnte ihnen endlos zuschauen, aber sie haben nicht in den Film hineingepasst. Ich habe wirklich damit gekämpft, aber man konnte sie nicht mit einer Idee beladen. 

 

Man sieht oft Körper, die etwas verrichten: Ringkämpfe und Rangkämpfe, spielerische Vergleiche, aggressive Konfrontationen.

 

Ich wollte bei den Körpern bleiben, bei den einzelnen Menschen, und das ganze Drumherum aussparen — Ringen im Senegal ist wie Fußball bei uns. Es ging mehr um den Kampf als solchen, zuerst als Training, dann in der Nacht. Er steht für Gewinnen und Verlieren, das Spiel und das Ritual. Ich wollte dem genug Zeit lassen, und dem Zweck dagegen wenig Raum. 

 

 

Viele starke Bilder zeigen auch Tiere, etwa Esel auf einem afrikanischen Platz — eine besonders lange Sequenz. Ich dachte irgendwann: Das ist ein Film, der nie zur Ruhe kommt — wie ein Tier.

 

Es hätte noch stärker ein Tierfilm werden können. Es ging auch hier darum, an etwas dranzubleiben: an einem Esel, der einen anderen in den Nacken beißen will, oder an zwei Esel, die gerne miteinander Sex hätten, aber nicht können. Wenn ich sie lange genug anschaue, dann tun sie auch etwas mit mir — es geht um Mensch und Tier, unsere Nähe zueinander, wie wir miteinander leben. Im Film sind ja fast nur Nutztiere zu sehen. Und wenn »Untitled« ein Blick auf die Welt ist, dann müssen Tiere ebenso wie Menschen vorkommen. 

 

 

 

Die Vorgeschichte von »Untitled«

Ein Lebensjahr lang wollte der österreichische Regisseur Michael Glawogger (»Megacities«, »Whores’ Glory«) um die Welt reisen und filmen, ohne genau festgelegte Reiseroute oder Themen für den Film im Kopf. Er startete auf dem Balkan, danach ging es über Italien nach Afrika. In Liberia kam seine Reise zum Halt. Glawogger starb dort mit 54 Jahren an einer Malariaerkrankung. Das entstandene Drehmaterial hat Editorin Monika Willi zusammen mit Reisetagebucheinträgen Glawoggers zum essayistischen, nicht linear erzählten Dokumentarfilm »Untitled« zusammengefügt.