Romantik fürs obere Preissegment

Investoren reichten jahrelang die Grundstücke des Laurenzkarrees weiter. Nun soll gebaut werden — die Politik träumt von einer Markthalle, weil das gerade Mode ist

Die Klagen über Köln als dreckigste Großstadt Deutschlands sind Legion und in der Regel übertrieben. Ein Ort allerdings bestätigt das Verdikt in allen Punkten: Das sogenannte Laurenzkarree. Es sind die beiden südlich des Doms gelegenen Baublöcke, zwischen den Straßen Am Hof, Unter Goldschmied, Marspforten- und Sporergasse: Ein heruntergekommenes Gebäude-Ensemble mit leerstehenden Büros, Großgarage, Billig-Streetfood samt Hinterhofatmosphäre. Jahrelang schoben sich Investoren den Besitz der Grundstücke zu wie eine heiße Kartoffel. Im August hat die Düsseldorfer Gerch-Group, die bereits den Zuschlag für das Gelände der Deutz AG in Mülheim erhielt, das Areal von der Klépierre GmbH gekauft. Zuvor hatten die Franzosen nach Gesprächen mit der Stadt ihr Shopping-Mall-Konzept kurzerhand für gescheitert erklärt.

 

Philipp Arnold, der bei der Gerch-Group für »Trans-actions« verantwortlich ist, bestätigt auf Anfrage, dass dort Hotels, Büro- und Handelsflächen sowie »hochwertiges Wohnen« geplant seien. Dafür soll der Großteil der Gebäude abgerissen werden. Unter Denkmalschutz stehende Bauten wie das Senatshotel will man in den Neubau integrieren. Zu Details sagt Philipp Arnold nichts, verweist aber auf laufende Verhandlungen mit der Stadt über die Frage eines Architekturwettbewerbs, aber auch einen Neubau des stadteigenen Bezirksamtes am Laurenzplatz.

 

Der Ausschuss für Stadtentwicklung hat am 21. Septem-ber mit den Stimmen von CDU, Grünen und FDP die Be-bau-ung des 6300 Quadratmeter großen Laurenzkarrees be-schlossen. Allerdings mit mulmigem Gefühl. »Wir sind gebrannte Kinder«, sagt Kirsten Jahn, Fraktionsvorsitzen-de der Grünen im Rat. Der häufige Besitzerwechsel berge die Gefahr, dass die Frage des Neubaus nur noch nach Rendite-erwartungen entschieden werde.  »Wir wollen da kein weiteres Spekulationsobjekt haben«, so Jahn. Deshalb werde derzeit geprüft, wie man »eine Bauverpflichtung« erwirken könne. Außerdem dränge die Politik auf eine städtebauliche Machbarkeitsstudie zu  möglichen Nutzungsformen, die Höhe der neuen Gebäude oder Fragen des Denkmalschutzes. »Es soll außerdem mindestens einen Architekturwettbewerb geben«, sagt Kirsten Jahn. Wichtig ist der Fraktions-chefin der Grünen, dass im Laurenzkarree auch Wohnungen gebaut werden. Die Pressemeldung zum Beschluss im Stadtentwicklungsausschuss enthielt allerdings im Anhang auch ein Foto der 2014 eröffneten Rotterdamer »Markthal«. Das sei zwar eine Idee der FDP, so Kirsten Jahn, doch auch sie will prüfen lassen, »ob  im Laurenzkarree ein kleines Marktkonzept zu realisieren wäre«.

 

Überdachte Markthallen fungierten im 19. Jahrhundert als Alternative zu offenen Märkten, bis sie von Lebens-mittelgeschäften und Konsumläden verdrängt wurden. Seit einigen Jahren erleben sie von Barcelona über Berlin und Stuttgart bis Rotterdam eine Renaissance. Da will Köln nicht zurückstehen. Die 120 Meter lange Rotterdamer Markthal mit Wohnungen und Marktständen ist allerdings ein typisches signature building. Doch genau das gilt in unmittelbarer Domnähe eigentlich als No-Go, so hat es das Baudezernat beim Wettbewerb für das Museum His-torische Mitte propagiert. Der Anlieferungsverkehr eines Marktes, das zeigt die Debatte um die Verlegung des Großmarkts nach Marsdorf, brächte außerdem enorme Belastungen mit sich. Und eine Markthalle am Beginn der hochgejazzten »Via culturalis« zeugt von einem allzu -kölschen Kulturbegriff. Warum also trotzdem eine Markthalle in Köln?

 

Moderne Markthallen dienen längst nicht mehr der Grundversorgung der Bürger. Das Amt für Stadtentwicklung bestätigt anhand der Erhebungen des »Einzelhandel- und Zentrenkonzepts« (EZK) für die Innenstadt: »Eine Versorgungslücke konnte nicht festgestellt werden.« Diese Aufgabe erfüllen nämlich seit Jahren Discounter und Supermärkte. Das gilt übrigens auch für Rotterdam: Im Untergeschoss der schönen bunten »Markt-hal«-Welt wurde eine XXL-Filiale der Supermarktkette  Albert Heijn samt Tiefgarage untergebracht. Unsichtbar, aber notwendig. Markthallen sind vor allem ein urbanes Lifestyle-Produkt, das nicht umsonst als must see in jedem Stadtführer aufgeführt ist. Das zeigt die schlossnah gelegene Halle von Martin Elsässer in Stuttgart. »Für unseren Tourismus ist die Markthalle von sehr großer Bedeutung«, sagt Armin Dellnitz, Geschäftsführer der Stuttgart Marketing GmbH. Führungen durch den 1914 errichteten Bau seien in der Regel sofort ausgebucht. Armin Dellnitz führt das zurück auf die Jugendstil-Architektur, das Angebot aus regionalen und internationalen Produkten sowie vor allem auf die Verkostung.

 

Mit der Kombination aus Warenverkauf und Verzehr an cooking stations folgen Markthallen einem Trend, der seit Jahren die Lebensmittelbranche umtreibt: Die Stili-sierung des Einkaufs zum Event. Nicht nur Supermärkte, sogar Wochenmärkte reagieren inzwischen darauf. So bieten die Märkte auf dem Rudolfplatz und dem Ehrenfelder Neptunplatz regelmäßig Abendeinkauf kombiniert mit  Streetfood-Ständen an. »Bei Markthallen geht es vor allem ums Event«, sagt Wilfried Weisenberger. Der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Standort & Kommune hat gerade eine Studie erstellt. Demnach liegen Markthallen in der Regel in den Zentren, weil sie nicht selbst Besucher generieren, sondern aus dem Umfeld absaugen. Ihre Angebote verteilen sich zu zwei Dritteln auf Lebensmittel und zu mindestens einem Viertel auf Gastronomie. Wer sich angesichts der kleinen Stände oder dem »regionalen« Warenangebot einen Kontakt zum Erzeuger erhofft, sitzt einer Illusion auf. »Die Beschicker der Markthallen sind Endhändler, die ihre Waren im Großmarkt einkaufen«, sagt Wilfried Weisenberger und spricht von der »Romantik der Markthalle«. Ergänzen lässt sich, dass die Preise dieser Waren oft im mittleren bis oberen Segment liegen. Markthallen definieren Stadtkultur also event- und tourismusorientiert und wirken über Gentrifizierungs-Streetfood sozial selektiv. Man darf bezweifeln, ob Köln diesem Trend folgen muss.