Atemlos durch die Stadt, Teil 2

Fahrverbote als letzter Ausweg

 


Zwar sehen auch die Grünen Fahrverbote kritisch, doch als ultima ratio lassen sie auch solche drastischen Maßnahmen gelten. »Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass Fahrverbote nichts sind, was sich die Stadt selbst auferlegt«, sagt Lino Hammer, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Kölner Rat.

 

Auch der Deutschen Umwelthilfe geht es nicht in erster Linie um Fahrverbote, der Verband wäre allerdings bereit, auch dieses Mittel einzufordern, wenn Städte ihre Luft anders nicht sauber bekommen. In Baden-Württemberg prozessierte die DUH erfolgreich vor dem Landesverwaltungsgericht, weil Stuttgart die Grenzwerte im gesamten Stadtgebiet überschreitet. Eine »Blaue Plakette« für schadstoffarme Autos sowie Fahrverbote für ältere Diesel-Modelle wären schon ab dem 1. Januar 2018 möglich gewesen. Doch die Landesregierung unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann entschloss sich, ebenfalls vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu ziehen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

 

Auch auf europäischer Ebene herrscht dicke Luft: Die EU-Kommission hat gegen die Bundesrepublik im vergangenen Jahr ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Wenn Deutschland, das europaweit die meisten Stickoxide ausstößt, nicht die Grenzwerte einhält, droht der Gang vor den Europäischen Gerichtshof — und womöglich Strafen in dreistelliger Millionenhöhe. Auch das erhöht den Druck auf Städte und Kommunen.

 

Retten, was kaum noch zu retten ist

 


Erst als die Klagen der DUH und damit mögliche Fahrverbote näher rückten, schien sich auch Köln plötzlich seiner Verantwortung für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu erinnern. Nur wenige Wochen nach dem Urteil des Düsseldorfer Verfassungsgerichts lud Umweltdezernent Harald Rau im Oktober 2016 zum ersten »Runden Tisch zur Luftreinhalteplanung«. Das Gremium soll retten, was kaum mehr zu retten ist. Unter Zeitdruck erarbeiten nun Akteure aus Wirtschaft und Logistik, Handwerk und Handel, Umweltverbänden und städtischen Ämtern gemeinsam mit der Bezirksregierung einen »Entwurf für die Überarbeitung des Luftreinhalteplans«. Dabei gilt es auch, die unterschiedlichen Interessen von Wirtschaft und Umweltgruppen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.

 

Ulrich Soénius von der IHK leitete für den Runden Tisch den Arbeitskreis Verkehr. Die Atmosphäre sei sehr sachorientiert gewesen, sagt er. »Vertreter von Umweltverbänden und Wirtschaft haben erkannt, dass sie nur gemeinsam eine Lösung finden können.« Soénius sagt aber auch: » Man darf sich nicht in die Tasche lügen: Die kurzfristigen Maßnahmen werden nicht sofort greifen.« Dass Köln das Problem viel zu spät angegangen ist, sieht auch Soénius. Wichtig sei nun, auch langfristige Maßnahmen für bessere Luft und auch eine gesicherte Versorgung anzugehen. Dazu zählten ein Baustellenmanagement und eine moderne Verkehrssteuerung. Vor wenigen Tagen, am 16. Oktober, trat der Runde Tisch abschließend zusammen. Die Zeit drängt. Denn der Rat der Stadt soll in seiner letzten Sitzung des Jahres, am 18. Dezember, den neuen Luftreinhalteplan absegnen. Danach kann dieser offiziell von der Bezirksregierung aufgestellt werden. Es steht viel auf dem Spiel: Die Maßnahmen, die der Runde Tisch beschlossen hat, müssen die Gerichte überzeugen. Ob es reicht, vor allem guten Willen zu zeigen, ist durchaus fraglich. Der neue Luftreinhalteplan ist der einzige Trumpf, den die Stadt noch in der Hand hält.

 

SPD und Grüne im Clinch

 


Die Politik blickt skeptisch auf den Runden Tisch. »Ich weiß nicht, warum es diesen Runden Tisch noch geben musste«, sagt Andreas Pöttgen, verkehrspolitischer Sprecher der SPD im Rat. »Es gibt einen Luftreinhalteplan — an den hat sich die Verwaltung allerdings nicht gehalten.« Lino Hammer von den Grünen im Rat befürwortet zwar das Gremium des Rundes Tischs, sagt aber auch: »Die Ideen sind ja nicht neu. Es wurde in den vergangenen Jahren allerdings zu wenig getan.« Hammer kritisiert die Stadt: »In der Verwaltung herrschte wohl eine kölsche Auffassung: Wir kommen da schon irgendwie durch.« In welches Lager man auch hineinhört, einig ist man sich darin, dass sich die Versäumnisse der Luftreinhaltung über Jahre angehäuft haben. 

Die damaligen Koalitionspartner SPD und Grüne werfen sich gegenseitig Versagen vor: Hat Reker, die den Grünen nahesteht, als Umweltdezernentin die Dringlichkeit nicht erkannt? Oder ist sie genauso wie das klimapolitische Engagement der Grünen vom damaligen OB Jürgen Roters (SPD) und seiner Partei ausgebremst worden? Einiges spricht dafür, dass beides zutrifft.

 

Die Vorzeichen für die Ratsdebatte im Dezember, die mit einem Beschluss für den neuen Luftreinhalteplan enden soll und muss, sind ungünstig. Im April bezichtigten sich die einstigen Koalitionspartner SPD und Grüne im Stadtrat gegenseitig, das Thema Saubere Luft verschlafen zu haben. Solche Vorwürfe sind für die Grünen naturgemäß besonders schwer auszuhalten. Sie betonen immer wieder, dass in der rot-grünen Koalition und der Roters-Ära die Klima- und Umweltpolitik grundsätzlich behindert worden sei. Tatsächlich verbindet man umweltpolitische Impulse kaum mit dem Alt-OB. Aber die Grünen lassen sich womöglich auch von ihrem jetztigen Koalitionspartner CDU ausbremsen. Während im April 2017 Grünen-Fraktionschef Jörg Frank in seiner Rede »ergebnisoffen alle Möglichkeiten« prüfen will, steht im gemeinsamen Antrag mit der CDU, dass etwa eine City-Maut ausgeschlossen sei.

 

Das sieht übrigens auch die SPD nach wie vor so. Für die Sozialdemokraten wiegt hier das Argument der sozialen Gerechtigkeit schwerer als das Ziel, in Köln endlich saubere Luft zu haben. Reiche Menschen könnten sich die City-Maut leisten, Arme nicht, sagt die SPD. Dem widerspricht die Linke im Rat, sie versetzt die Perspektive: Gerade arme Menschen würden unter den Schadstoffen in der Luft leiden, so Michael Weisenstein. Sie könnten sich keine Wohnung in weniger belasteten Vierteln leisten. Eine Dissertation am Lehrstuhl für Verkehrsökologie der TU Dresden gibt dem verkehrspolitischen Sprecher der Linken recht. Der Verkehrsingenieur Thilo Becker zeigte am Beispiel von Berlin, dass überwiegend Menschen mit niedrigem sozialem Status an stark belasteten Straßen wohnen.

 

Ultrafeinstaub im Gehirn 

 


Feinstaub und Stickoxide sind neben Ozon die am weitesten verbreiteten Schadstoffe in der Luft. 90 Prozent aller europäischen Stadtbewohner sind Mengen ausgesetzt, die gesundheitsgefährdend sind. Dabei gilt die Belastung mit Feinstaub sogar als rückläufig. Die Feinstaubmessungen in Köln liegen seit einigen Jahren fast immer unter den Grenzwerten, weshalb das Thema von der politischen Agenda verschwunden ist. Die Gesundheitsrisiken durch Feinstaub seien allerdings geblieben, sagt Luft-Experte Christian Döring: »Vor allem die Belastung durch Ultrafeinstaub ist immens.« Im Vergleich zum gewöhnlichen Feinstaub (PM 10) gelangt der hundertmal kleinere Ultrafeinstaub (PM 0,1) tiefer in den menschlichen Organismus. Einen wirksamen Schutz gebe es nicht, sagt Döring. Er berichtet von Feinstaubpartikeln, die man bei Obduktionen in menschlichen Gehirnen gefunden habe, und von Auswirkungen auf Ungeborene, wenn Schwangere nur leicht erhöhten Feinstäuben ausgesetzt sind. Döring vertritt keineswegs eine Minderheitenmeinung.

 

Allein durch Feinstaub sinke die Lebenserwartung eines Europäers durchschnittlich um acht Monate, teilt die Europäische Umweltagentur (EUA) in ihrem aktuellen Bericht mit. Ähnlich dramatisch sind die Zahlen für Stickoxide, dem Gift in der Luft, gegen das Köln gerade hilflos ein Gegenmittel sucht. Im Jahr 2015 gab es durch die Überschreitung gesetzlicher Grenzwerte knapp 38.000 vorzeitige Todesfälle durch Stickoxide, von denen rechnerisch 11.400 in der Europäischen Union aufgetreten sind. Das hat ein Team um die Forscherin Susan Anenberg von der Organisation »Environmental Health Analytics« (LLC) aus Washington berechnet und in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.