Das Gesamtkunstwerk verschwindet bald : Kolbhallen von innen, Foto: Esther Kusche

Anarchie im Neubau

Für die Kolbhallen in Ehrenfeld ist eine Lösung in Sicht. Lassen sich Wohnen und Kultur vereinbaren?

Wenn es in den letzten Jahren um die Kolbhallen in Ehrenfeld ging, dann ging es um Streit. Erst behakte sich die Stadt mit der Künstlerkolonie an der Helmholtzstraße wegen ausbleibender Mietzahlungen, dann stritten Land und Stadt um die Industriebrache. Zuletzt zogen Nachbarn wegen Ruhestörung vor Gericht. Die Kolbhallen waren als Kulturort gefährdet.

 

Das hat sich geändert. »Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung gefunden haben, mit der alle gut leben können«, sagt Petra Bossinger. Die Vorsitzende der Ehrenfelder SPD setzt sich seit Jahren für das Projekt ein. Ende September hat der Kölner Stadtrat für das 3000 Quadratmeter große Areal ein Planungs- und Nutzungskonzept beschlossen. Es sieht unter anderem den Verbleib des Vereins »Wir Selbst« vor, dessen Mitglieder auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik leben und arbeiten.

 

Für den Ratsbeschluss war ein langer Anlauf nötig gewesen. Eigentümerin des Grundstücks ist die landeseigene Entwicklungsgesellschaft NRW.Urban, die Stadt Köln ist Hauptmieterin beim Land und vermietete das Gelände über viele Jahre an »Wir Selbst« unter — ohne regelmäßige Miete zu erhalten. Als 2013 der Mietvertrag zwischen NRW.Urban und Stadt auslief, wollte das Land sein Eigentum zurück. Der Clinch begann: »Wir Selbst« weigerte sich, das Gelände zu verlassen, das der Verein seit Ende der 80er Jahre nutzte. Mehrfach scheiterten Räumungen, eine letzte im Juni 2013 aufgrund eines Formfehlers. Eine Polizeihundertschaft war bereits angerückt. Die Ehrenfelder Lokalpolitik fühlte sich von Land und Stadt übergangen. Auf Antrag von SPD und Grünen forderte die Bezirksvertretung einstimmig, in die Entwicklung des Geländes eingebunden zu werden. Sie pochte auf eine »angemessene Frist für Kaufverhandlungen zwischen ›Wir Selbst‹ und NRW.Urban«. Die Künstler sollten bleiben.

 

Erst mit dem Ratsbeschluss im September endeten die zähen Verhandlungen. »Ich hatte zwischenzeitlich fast nicht mehr dran geglaubt«, sagt Brigitta von Bülow, Vorsitzende der Ehrenfelder Grünen und kulturpolitische Sprecherin der grünen Ratsfraktion. Zwar konnte »Wir Selbst« das Gelände nicht selbst kaufen, fand aber in Yves Netz einen kulturnahen Investor, der das Grundstück von NRW.Urban erstehen wird und dem Verein den Verbleib zusichert. Der Ratsbeschluss sieht vor, dass die Künstler auf dem Gelände ein neues »Kulturzentrum« beziehen — auf weniger Fläche, aber mit Platz für Ateliers, Werkstätten und Wohnen. Im ehemaligen Pförtnerhäuschen soll ein Café entstehen, die Bauwagen werden verschwinden, das anarchische »Gesamtkunstwerk Kolbhallen« wohl auch. Petra Bossinger (SPD) aber will nichts bedauern: »Was hätte es uns gebracht, wenn man uns karierte Gänseblümchen versprochen hätte. Wir wollten ein tragfähiges Konzept.« Und »Wir selbst« wollte vor allem bleiben. »Wir mussten jedes Jahr mit der Ungewissheit leben, wie es weitergeht«, sagt Christian Arnold vom Verein. Die Kolbhallen als Kunststandort seien nun »generationenübergreifend gesichert«.

 

Tragfähig ist das Konzept auch für die Stadt: Denn fast 5000 Quadratmeter Wohnraum sind vorgesehen, 30 Prozent öffentlich gefördert. Zudem ist eine mindestens dreizügige Kita geplant. »Die Kolbhallen sind der Versuch, ein Mischgebiet aus Wohnen und Kultur zu schaffen«, sagt Brigitta von Bülow von den Grünen. Sie will wegkommen von einem »Schwarz-weiß-Ansatz«: »Warum soll immer nur das Eine oder das Andere möglich sein?« So sieht es auch Petra Bossinger (SPD): »Früher hat man gesagt: Die Kultur sucht sich ihre Nischen. Aber es gibt diese Nischen nicht mehr, wenn man sie nicht freihält.« Die Kolbhallen könnten zu einem Vorbild für Projektentwicklung werden: »Wenn das hier funktioniert, funktioniert das auch woanders«, sagt Bossinger.

 

Sollen die Kolbhallen aber zum Vorbild taugen, dann darf dort nichts schiefgehen. Das wissen auch die Bezirkspolitikerinnen. Auf »zwei Jahre plus X« beziffert Bossinger den Beginn der Arbeiten auf dem Gelände. Bis dahin wird »Wir Selbst« entscheiden müssen, in welcher Rechtsform man das vorgesehene Teilstück des Geländes erwerben will. Der Verein denkt über eine Genossenschaft nach. Auch müssen die Künstler ihren Zwist mit den Anwohnern beilegen. Zwei benachbarte Wohnungseigentümer hatten den Verein, der regelmäßig Feiern und kleine Festivals veranstaltet, wegen Lärmbelästigung verklagt. Im Mai hatten sich die Streitparteien vor dem Oberlandesgericht Köln geeinigt: »Wir Selbst« beteuerte, sich künftig an genau geregelte Lautstärke-Vorgaben zu halten. An einigen Tagen gelten Ausnahmen — dann darf »sogar bis 5 Uhr gefeiert werden«. An derart geordnete Anarchie wird man sich in den Kolbhallen noch gewöhnen müssen.