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Der große Wurf

Jedes Jahr prasselt es auf die Jecken nieder. Aber fast niemand bückt sich nach den Kamelle. Warum eigentlich nicht?

Schuld war nur das Bonbon. Willy Millowitsch hatte sich »als kleene Jung« verlaufen, bei dem Versuch sich »e Rahmkamellsche« zu kaufen. So schildert es der kölsche Crooner in seinem Hit »Kölsche Jung«.

 

Die Sehnsucht nach einem Bonbon steht am Anfang der Köln-Hymne. Heute prasselt es — bong, bong! — zehntausendfach auf die Jecken an den Karnevalszügen nieder. Doch sich nach solchem »Wurfmarerial« zu bücken, ist vielen nicht die Mühe wert.

 

Und wenn doch, dann mitunter, um Kau-, Brause- oder Toffeekamelle zurückzuwerfen! Keine Frage, das ist eine weitere Verrohung der Sitten im Karneval. Aber ist auszuschließen, dass die Jecken unzufrieden sind? Die Qualität lässt ja zu wünschen übrig. Weniger Bonbons, mehr Qualität — das wäre der richtige Schritt.

 

Das Bonbon wird aber nicht nur von Karnevalisten kulinarisch ignoriert. Es ist auch sonst rein funktional: das säuglingshafte Lutschen eine Regression. Bestenfalls dient das Bonbon so zur Linderung eines Reizhustens.

 

Das Besondere des Bonbons ist seine dauerhafte aromatische Präsenz, bis hin zur Betäubung der Geschmacksknospen. Dieses gustatorische Dauerdröhnen teilt es mit dem Kaugummi, der aber wiederum rasch seinen Geschmack verliert. Auch darüber gibt es Lieder. »Does your Spearmint lose its flavor?«, fragten vor fast hundert Jahren schon die Happiness Boys.

 

Wie aber kann man das Bonbon in der Küche einsetzen? Erstaunlich ist, dass selbst der modern cuisine nicht viel einfällt, außer Gimmicks wie das oft zitierte Olivenöl-Bonbon von Ferran Adrià. Dabei ließe sich Sinnvolles anstellen.

 

Um bei der Musik zu bleiben: Das Bonbon gäbe den permanenten Bordun-Ton vor, über dem dann andere Aromen ihre Koloraturen sängen. Man lutscht ein spezielles Koriander-Bonbon und löffelt nacheinander lauwarmen Couscous, Melonensorbet, warme Bitterschokolade. Bescheuert? Gewiss, das wäre noch nicht der große Wurf, bloß eine erste Versuchanordnung. Aber sicher fänden sich Talentiertere, die daraus ein kulinarisch-avantgardistisches Konzept entwerfen.

 

Bis dahin bleibt es dabei: Kamelle aufheben, in einen Beutel stecken und Monate später verschämt in die Tonne werfen. Immer noch besser, als das Zeug an Sankt Martin den Kindern zu geben.