Wer darf was

Seit zwanzig Jahren verwandeln Angie Hiesl und Roland Kaiser Straßen und Plätze zu Kunstwerken auf Zeit

Wenn man in der engen, eher unheimlichen U-Bahnunterführung am Appellhofplatz plötzlich entspannt und angstfrei auf Rasen wandelt oder ältere Menschen an Häuserwänden der Ehrenstraße schweben, ahnt man, das Künstlerpaar Hiesl und Kaiser war wieder am Werk. Mit seinen Arbeiten provoziert das Paar immer einen neuen Blick auf vertraut Geglaubtes und erweitert unsere Vorstellungen von Performance. Angie Hiesl gilt als Pionierin für ortsspezifische Performances, die sie seit den 1980er Jahren konzipiert. Nicht nur in Köln, sondern weltweit. Gerade ist das Paar von der Recherchereise »China is calling« zurückgekehrt.

 

 

Wenn ihr den öffentlichen Raum bespielt, stellt ihr Sichtweisen oft wunderbar komisch und bizarr auf den Kopf. Wie war das vor zwanzig Jahren in Köln? War es schwierig, diesen performativen Ansatz zu kommunizieren?

 

 

Angie Hiesl: Probleme, unsere Kunstprojekte durchzusetzen,
hatten wir nicht. Im Gegenteil. Wir haben uns sehr willkommen gefühlt. Ordnungsamt, Kulturamt, Bezirksregierung, Polizei und viele andere waren aufgeschlossen. Wir konnten uns eigentlich überall den Raum nehmen.

 

 

Und heute?

 

 

Roland Kaiser: Im Unterschied zu damals ist ja  fast alles verbaut. Das liegt natürlich auch an der Änderung der industriellen Nutzung in Kalk oder Ehrenfeld. Oder auch der Appellhofplatz, er hat sich stark verändert. Heute sind viele Räume, die uns früher interessiert haben, gar nicht mehr da.
Hiesl: Aber es sind nicht nur örtliche Veränderungen, die Künstler heute einschränken, wenn sie im öffentlichen, urbanen Raum arbeiten wollen. Er wird stark reglementiert, so dass man sich die Frage stellen muss, wem er überhaupt gehört und wer die oberste Hoheit hat. Wir müssen die Diskussion dringend führen, wer, wo und was darf.

 

 

Gab es bei eurem letzten Projekt »Fat Facts« Schwierigkeiten, als ihr mit drei Performern auf dem Apostelnplatz mittels einer begehbaren Installation dem Thema »Dicksein« Raum gegeben habt?

 

 

Hiesl: Ja, es brauchte eine starke Unterstützung des Kulturamtes. Meiner Meinung nach wird der öffentliche Raum derzeit mit einer Über-Angst überzogen, die sich nach dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg und den Anschlägen in Berlin, Paris oder Brüssel gebildet hat. Aber bisweilen nehmen die Reglementierungen eine Dimension ein, dass ich mir denke, es geht gar nicht mehr um die Sache an sich.
Kaiser: Der öffentliche Raum ist ein Seismograph für die Befindlichkeit einer Gesellschaft. Daran lässt sich ablesen, wer ihn wie nutzen darf. Das zeigt sich auch bei unseren Reisen wie jetzt in China. China ist eine Diktatur und deswegen hat die Staatsmacht die absolute Kontrolle.

 

 

Ihr habt euch sehr früh entschieden, globalisiert zu arbeiten und eure Projekte dementsprechend zu konzipieren. Angie, deine vermutlich berühmteste Installation »x-mal Mensch Stuhl« war fast überall auf der Welt zu sehen. Da sitzen alte Menschen fünf Meter über dem Boden auf Stühlen — festgetackert an Hausfassaden — und performen Alltäglichkeit. Sie schneiden Gemüse, hören Radio oder lesen Bücher.

 

 

Hiesl: Für uns hört die Welt in Deutschland nicht auf. Uns beschäftigt der Clash des Zusammenrückens und Aufeinanderprallens der verschiedenen Kulturen unserer globalisierten Welt. Uns treibt die Neugier, das Fremde und Grenzen zu erkunden und mit einem gewissen Eigensinn der Welt zu begegnen. Mit unserem performativen und installativen Arbeitsansatz können wir Menschen international sehr gut erreichen.
Kaiser: Und wir versuchen, indem wir nach außen gehen, immer wieder den Blick auf Köln zu erneuern.

 

 

Gerade seid ihr aus Shanghai, Guangzhou, Hongkong und Macao zurückgekehrt. Was habt ihr an Eindrücken mitgebracht?

 

 

Kaiser: Die Dynamik dort ist atemberaubend. Massenhaft wurden und werden die Altstädte abgerissen und neue Gebiete erschlossen, dafür werden moderne Hochhäuser hochgezogen. Das hat einen großen Einfluss auf den Alltag. Natürlich gibt es in den Wohnungen mehr Komfort, aber auf der anderen Seite verschwindet teilweise das soziale Leben auf der Straße. Eine Entwicklung, die wir auch hier in Köln sehen. Menschen isolieren sich. Das wäre auch ein Thema für uns.

 

 

Welche Anliegen hatten die chinesischen Kollegen der unabhängigen Kunstszene, die ihr getroffen habt? Was waren eure Eindrücke?

 

 

Hiesl: Meinungsfreiheit und individuelle Freiheit — was heißt das überhaupt in der chinesischen  Massengesellschaft? Damit konfrontieren sich die Künstler. Wenn sie im öffentlichen Raum performen, zum Beispiel auf dem Tiananmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, was verboten ist, dann halten sie die Aktion fotografisch fest. Ausgestellt wird die Aktion dann in Buchform oder im Internet.

 

 

Ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff Freiheit also ein Thema für die nächste künstlerische Arbeit?

 

 

Hiesl: Es ist interessant zu sehen, wie sich in China Menschen Freiheit nehmen und welche Strategien sie dafür entwickeln. Das wird auf jeden Fall in einer unserer nächsten Projekte eine zentrale Rolle spielen.