Mentale Gewerbehallen

Materialien zur Meinungsbildung /// Folge 193

Wenn man mit anderen Menschen zu tun bekommt, beginnen die Probleme. Sie denken und handeln anders als man selbst! Oft entsteht daraus Falsches: eine Einladung zum Paleo-Brunch, Chanson-Abende mit »frechen Texten« oder die Anordnung, das Treppenhaus im Wochentakt zu reinigen, auch die Geländerstäbe!

 

Nun gibt es solche Fehler, die einen betreffen und solche, die das nicht tun. Wenn Oma Porz Knoblauchpulver statt Zucker für den Käsekuchen nimmt, ist für mich nicht relevant — jedenfalls solange, bis ich davon essen muss, weil Oma Porz schon ein paar Likörchen intus hat und sagt: »Selbstgemacht schmeckt‘s eben doch am besten!« Solche Fehler, die einen betreffen, nerven natürlich kolossal. Man erkennt nicht nur das Falsche, man spürt es — etwa, wenn Tobse Bongartz außer Rand und Band eine nicht-reale E-Gitarre spielt und dabei eine sehr reale Bierflasche gegen meinen Schädel donnert, als sei ich die Lautsprecherbox von Jimi Hendrix. 

 

Es gibt viele Fehler, die man korrigieren muss, einfach, weil sie falsch sind. Dann ist Eile geboten, weil Staatsoberhäupter mit rotem Kopf auf den roten Knopf drücken oder weil Gesine Stabroth Bier für die Party kauft, das mit Nachnamen »Fun« und »Drive« heißt. Sind solche Fehler begangenen worden und ist kein Eingreifen mehr möglich, darf man durchaus eine Beschwerde anbringen. Hey, atomare Verwüstung oder eine alkoholfreie Party sind keine
Kinkerlitzchen!

 

Was aber ist die angemessene Form einer Beschwerde? Dazu muss man wissen, dass die Beschwerde, die einen Fehler gar nicht mehr verhindern oder korrigieren kann, nur noch einem Zweck dient: sich zu erleichtern, indem man seine Missgunst zur Kenntnis gibt. Aber sich zu
beschweren und zugleich zu erleichtern — wie soll das gehen?

 


Wer nach Atomkrieg oder alkoholfreier Fete auf eine Beschwerde hin bloß ein lässiges »Sorry« hört, dessen Empörung wird eher zunehmen denn schwinden. Wie also umgehen damit,
wenn Fehlern nicht mehr zu korrigieren sind und wenn eine Beschwerde alles womöglich noch misslicher macht?

 

 

Demut? Tatsächlich sind ja viele Fehler in der Welt. Selbst der gottesfürchtige Mensch kann ins Grübeln geraten, ob alles wirklich wohlgefügt ist. Allerdings lässt sich einwenden, dass nicht des Falschen zu viel, sondern des Richtigen zu wenig und dass nicht des Bösen zu viel, sondern es Guten zu wenig sei. 

 

Fehler bedeutet ja, dass etwas fehlt — oder dass einer am Werk ist, der macht, dass etwas fehlt. Das eröffnet die ganze metaphysische Wucht des Worts »Fehler-Teufel«. 

 

Und der Teufel steckt bekanntlich im Detail. In einer Kette von Schlüssen ist es der eine, klitzekleine logische Humbug, der alles ruiniert. Er genügt, um einen ganzen Palast aus Gedanken in sich zusammenfallen zu lassen. Sollten wir lieber mentale Gewerbehallen bauen? Sie besichtigen übrigens gerade eine.

 

Diese Betrachtung eröffnet auch Tröstliches. Ich verstehe das so: Nicht das Leergut, das sich bei mir im Flur angesammelt hat, ist an sich schlecht, sondern dass dort kein Pfandrückgabe-Automat eingebaut ist. Und das ist nicht mein Fehler. Ich muss nur darauf warten, dass Herr Hirmsel von Trinkhalle Hirmsel mir eine Leergutannahme in die Wohnung baut. Als Ergebnis meiner Machbarkeitsstudie empfehle ich ein Rohrpost-System. Solange das nicht installiert wird, ärgere ich mich jeden Tag ein bisschen mehr und bekomme durch das Klimpern und Scheppern wieder und wieder bestätigt, dass der Fehler nicht bei mir liegt. Manchmal beginnen die Probleme mit jenen anderen Menschen, die einem leckeres Bier verkaufen.