Ein gewisser Straschek

Für seine interdisziplinäre Reihe »HIER UND JETZT« hat das Museum Ludwig die radikalen Arbeiten des Filmemachers und Marxisten Günter Peter Straschek ausgegraben

 

Anschnallen, es geht in den Untergrund. 1982 wird die Filmemacherin Danièle Huillet von Helge Heberle und Monika Funke-Stern für die Reihe »Frauen und Film« interviewt. Sie berichtet: »Ein gewisser Straschek, er ist ein Freund von uns, kam zu Besuch, als wir 1974 in Wien den Orchesterteil von ›Moses und Aaron‹ aufgenommen haben. Er brachte zwei schwere Gepäckstücke voller Bücher mit — die ganze Korrespondenz von Marx und Engels.« 

 

Huillet, die 2006 gestorben ist, und ihr Lebenspartner Jean-Marie Straub haben über fünfzig Jahre ein kompromissloses filmisches Werk erarbeitet, fußend auf einer anti-suggestiven, anti-psychologischen und materialistischen Ästhetik, neben dem die Stücke des verehrten Meisters Brecht wie fidele Boulevard-Komödien wirken. Aus der Korrespondenz von Marx und Engels, die jener »gewisse Straschek« ihnen mitgebracht hatte, haben sie schließlich die Idee für den Film »Zu früh — zu spät« entwickelt. Der Überbringer huscht als eine gewisse Person durch die Kulissen, er ist schon halb namenlos, bereits 1982 fragt niemand weiter nach, wer denn dieser Straschek wohl gewesen sein mag.

 

Günter Peter Straschek, geboren 1942 in Graz, gestorben 2009 in Wien nach einer langen Wanderschaft um die halbe Welt, gehört zur Geheimgeschichte des Materialismus, den er 1970, vielleicht noch aus einer Aufbruchsstimmung heraus, als »kritischen Kommunismus« bezeichnet hat. Straschek zählte zu jener legendären Generation Studenten an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, die 1968 wegen Aufsässigkeit relegiert wurden. Er hatte da schon einen beschlagnahmten Film gedreht, »Ein Western für den SDS«, ein weiterer sollte noch folgen: »Zum Begriff des ›kritischen Kommunismus‹ bei Antonio Labriola (1843-1904)«, hinzukommen einige Features für den Rundfunk. 

 

1969 begann er mit seiner Arbeit an dem »Handbuch wider das Kino«, das mit einiger Verspätung schließlich von Suhrkamp veröffentlicht wurde, eines der eigenartigsten Bücher, die jemals dort erschienen sind. Ein Anti-Glossar, Anti-Lexikon, das in seinen hermetischen diskursiven Passagen jede oberflächliche Adaption des Marxismus für »Politfilme« aufs Schärfste ahndet. Er arbeitete mit Straub und Huillet zusammen an »Einleitung zu Arnold Schoenbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene«, und zeichnete 1975 für die fünfteilige Fernsehserie »Filmemigration aus Nazideutschland« verantwortlich, die vom WDR und dem Sender Freies Berlin ausgestrahlt wurde. Und das war es. Das ist der sichtbare, öffentlich dokumentierte Teil seines Werkes. 

 

»Am Anfang stand einfach die Frage, wer ist dieser Mensch, der eine so beeindruckende Fernseh-serie über die deutsche Filmemigration gemacht hat?«, sagt Julia -Friedrich, die als Kuratorin im Museum Ludwig die Schau des Gesamtwerks von Straschek betreut. »Wie kommt jemand dazu, so im Detail über dieses Thema Bescheid zu wissen? Der gleichzeitig weiß, wie man die Kamera richtig aufstellt und diese Leute zum Reden bringt? Der keinen einzigen Kameraschwenk benötigt? Der aus diesem Material eine Serie von fünf -Stunden zusammenschneidet, die man noch heute gebannt guckt? -Straschek stellt die Frage — und er beantwortet sie auch —, was Fernsehen sein kann.« 

 

Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Konzentration auf das Thema, keine Bevormundung
des Zuschauers, keine Bescheidwisser-Gesten des Regisseurs, jeder Schnitt, jede Montage ist der Frage unterworfen: Trägt sie zur Aufklärung des Themas bei? Eine asketische Haltung, die in der Praxis unendlich viel Platz für Geschichten, aus denen schließlich Geschichte wird, lässt. »Straschek hat sich selbst nicht als Künstler gesehen«, meint Friedrich. »Aber seine Filme sind Arbeiten, die Künstlern Orientierung bieten für heute. Er und die Leute, mit denen er Ende der 60er Jahre Film studiert hat, haben sich sehr grundsätzliche Fragen gestellt, etwa — wie muss ein Film aussehen, der teilhat an einer Veränderung der Gesellschaft?«

 

Strascheks SDS-Filme sind noch eindeutig als Agitprop-Stücke zu verstehen (Wie lässt sich spontanes studentisches Aufbegehren in langfristige proletarische Klassenpolitik übersetzten?), aber bereits seine Hommage an den vergessenen italienischen Marxisten Antonio Labriola trägt unübersehbar ironische, selbstkritische Züge: Der Agitprop muss überwunden werden.

 

Die berühmte Frage — »Soll man politische Filme oder Filme politisch machen?« — stellt sich für Straschek nicht mehr, weil sie noch künstlerischen Denkformen verhaftet ist. »Politik statt Politfilm« nennt Stefan Ripplinger Strascheks Credo im Katalog: Es ging ihm um eine Einordnung und Bewertung des Kinos im Zusammenhang der gesamten politischen Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft, Kino als Teil des politischen Systems.

 

Seine Arbeit zur Erforschung der deutschen Filmemigration bezieht sich deshalb nicht nur auf die bekannten Regisseure und Schauspieler, sondern auf … alle: auf Angestellte von Kopierwerken, Sekretärinnen, Kameraleute ebenso wie Assistenten. Weil Film eben ein kooperatives, hochgradig arbeitsteiliges Gewerbe ist, das man erst angemessen würdigen kann, wenn man jeden Arbeitsschritt zerglieadert hat. Straschek hat deshalb nach seiner Fernsehserie nicht aufgehört. Bis zu seinem Lebensende hat er insgesamt 2800 Interviews mit Film-Exilanten geführt und ein einzigartiges — im Prinzip immer noch unbekanntes — Archiv auf-gebaut. 

 

»Günter Peter Straschek: Emigration — Film — Politik«, Museum Ludwig, 3.3. bis 1.7., Eröffnung Fr, 2.3., 19 Uhr. 

 

Für die Präsentation hat der Künstler Eran Schaerf eine Ausstellungs-architektur entworfen, die das Thema »-Emigration — Film — Politik« reflektiert.