Gequetschte Nietzsche-Zitate

Melanie Kretschmann reflektiert mit Rot über typisch prekäre Männerfreundschaften

 

New York, 1958: Mark Rothko, gerade auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens angekommen, arbeitet an einer Bilderserie für das Four Seasons Restaurant in Manhattan. Sein junger Praktikant Ken und Lakai für allerlei Handlanger-Dienste scheint ihm zunächst keine große Hilfe: Unruhig stolpert er zwischen den Werken des Künstlers umher und ist zu ängstlich, um in der abstrakten Farbfeldmalerei Rothkos mehr als bloße Farbe zu erkennen. Doch in der Abgeschiedenheit des Ateliers entwickelt sich zwischen den beiden Männern — Rothko, der manisch-depressive Mentor, und Ken, sein konturloser Padawan — allmählich eine Freundschaft.

 

Für »Rot«, ein Theaterstück über Kunst, Paranoia und Wirklichkeit, erhielt der Autor John Logan, bekannt für seine oscarnominierten Drehbücher für »The Aviator« und »Gladiator«, 2010 den Tony Award als wichtigsten US-amerikanischen Theaterpreis. Es sei ein »larger than life« Porträt Rothkos, schrieb die Chicago Sun-Times, was, um ehrlich zu sein, nicht gerade für Rothko als Person spricht. Der liegt da mal wieder in selbstgefälliger Pose in seinem grünen Holzliegestuhl, der fast einzigen Requisite auf der Bühne der Außenspielstätte — und im Übrigen dem Original treffend nachempfunden. Grandios bildet der Schauspieler Wolfgang Michael die Brüchigkeit seiner Figur Rothko ab: seine sich aufbäumende Wut gegen die Welt und der abgrundtiefe Fall in die Einsamkeit danach. »Sie suchen nach Menschlichkeit, aber würden einen Menschen nicht einmal erkennen, wenn er vor Ihnen stünde«, schmettert Praktikant Ken ihm entgegen, als er die Arroganz seines Meisters nicht länger ertragen kann. Elias Reichert fängt seinen Partner in diesem Duett glänzend auf, er gibt seinem Charakter Zeit und Raum, sich zu entwickeln —
bis die Figur am Ende aufrecht genug ist, um Rothkos Blick stand zu halten.

 

Doch statt die beiden hervorragenden Schauspieler ihre Figuren in ihrer Leidenschaft entwickeln zu lassen, inszeniert Melanie Kretschmann in ihrer zweiten Regiearbeit mit der Nonchalance einer Regisseurin, die alles will: Nietzsche-Zitate, zwischen versoffenen Zähnen hindurch gequetscht, Velvet Underground-Sound, der belanglos aus den Boxen scheppert und eine Menge Kunstgeschwafel. »Rot« wird auf diese Weise zu einer verschwommenen Reflexion über sogenannte Männerfreundschaften — die popkulturelle Erinnerungen an »Rain Man« oder »Ziemlich beste Freunde« weckt — vermengt mit dem Drama menschlicher Existenz à la Sartres »Geschlossene Gesellschaft«: Denn auch in »Rot« sind die Hölle immer nur die anderen.