Bengalos  und »Pils Identitär«

Die »Identitäre Bewegung« macht in Köln mit spekta­ku­lären Aktionen auf sich aufmerksam. Ihre Mitglieder sind in der rechten Szene gut vernetzt

Für einen Augenblick leuchtet die Hohenzollernbrücke in roter Farbe. Etwa ein Dutzend schwarz gekleideter junger Männer hat sich an einem Sonntagnachmittag Anfang Januar am Geländer aufgereiht, sie zünden Leuchtfackeln an und entrollen gelb-schwarze Transparente. Darauf stehen die Schlagworte der »Identitären Bewegung«: Heimat — Freiheit — Tradition. Die Aktion dauert nicht lang. Die Identitären bemerken die Ablehnung der Passanten und suchen schnell das Weite. Aber Spaziergänger und Touristen am Rhein sind auch nicht die Zielgruppe der Aktion; sie dient dazu, in den sozialen Netzwerken verbreitet zu werten. Mehrere Kamerateams der Identitären samt einer Drohne filmen das kurze Bengalo-Feuerwerk. Wenige Stunden später veröffentlicht die »Identitäre Bewegung Nordrhein Westfalen« ihr Video im Netz: bombastische Musik, viele Perspektivwechsel, schnelle Schnitte — es soll professionell wirken, es ist Werbe-Clip und Bekennerschreiben zugleich. 

 

Die Identitäre Bewegung gilt als das neueste Aushängeschild der extremen Rechten in Deutschland. Sie hat erkannt, dass Protest in der heutigen Medienwelt weniger mit komplexen Inhalten Wirkung erzielt, sondern vielmehr über Inszenierungen in Kulissen mit Wiedererkennungswert. Neben dem Justizministerium und dem Brandenburger Tor in Berlin war in den vergangenen Monaten immer wieder Köln Schauplatz dieser Aktionen. Seit den sexualisierten Übergriffen in der Silvesternacht vor zwei Jahren gilt Köln für die Identitäre Bewegung — wie für die gesamte extreme Rechte — als Ort mit hohem symbolischen Charakter. Die Aktionen ähneln sich dabei. Ende Dezember 2016 kletterte eine Handvoll Identitärer auf das Dach des Kölner Hauptbahnhofs und entrollte ein etwa zwanzig Meter breites Transparent. Im August vergangenen Jahres drangen Aktivisten in das WDR-Gebäude am Appellhofplatz ein, entzündeten Bengalos und entrollten auch dort ein Transparent. Im Dezember wurde der Ebertplatz für eine Aktion genutzt. Die wechselnden Schauplätze sind dabei lediglich Kulissen für die Werbe-videos, die sich über ein Netz aus rechtsextremen Followern und Bots verbreiten. Jede PR-Agentur würde von solch einer Wirkung träumen.

 

Die Identitäre Bewegung stellt sich nach außen als Jugendbewegung dar: dezentral, unkontrolliert, subkulturell. Dahinter steht jedoch eine straff gegliederte Organisation mit klaren Hierarchien aus Bundesvorstand, Regional und Ortsgruppenleitern. Die Form ihrer Aktionen legt nahe, dass sie überregional vorbereitet werden. Meist reisen dafür Aktivisten aus ganz Deutschland an — aus gutem Grund: In Köln dürfte die Bewegung über kaum mehr als eine Handvoll Mitglieder verfügen. Selbst für ganz Nordrhein-Westfalen geht die Landesregierung lediglich von 50 Personen aus, von denen allerdings nur 20 überregional mobilisierbar seien. 

 

Als Regionalleiter für Nordrhein-Westfalen fungiert seit einiger Zeit Kreon S. aus Remscheid, der sich zuvor im Umfeld der Pro-Bewegung, mit Organisationen wie Pro Köln oder Pro Deutschland, aufhielt. Mit dieser Vergangenheit ist Kreon S. kein Einzelfall. Etliche Führungskader der Identitären Bewegung stammen aus nationalistischen und völkischen Zirkeln mit teils neonazistischer Vergangenheit. Die familiäre Sozialisation und politische Indoktrination spielt eine wichtige Rolle, wie etwa im Fall der Brüder Robert und Karl M. Die Söhne der bundesweit agierenden Neonazis Christian M. und Maria-Luise S.-L. gründeten 2016 eine Ortgruppe der Identitären Bewegung in Aachen und beteiligten sich an Aktionen in Köln. Karl M. sitzt inzwischen in Untersuchungshaft. Ihm wird bandenmäßiger Drogenhandel vorgeworfen, der Prozess begann Anfang Februar am Landgericht Aachen.

 

 

In der Tradition rechtsextremer Jugendverbände

 

Strategisch versucht die Organisation, Verstrickungen ins neonazistische Milieu zu leugnen. Die Identitäre Bewegung begreift sich als Erbe einer »neuen Rechten« ohne »intellektuelle Eitelkeit«, wie der Kopf der Identitären Bewegung, der Wiener Martin Sellner, in den Burschenschaftlichen Blättern schreibt. Dabei greift man in Bildsprache und Symbolik auf klassische Themen und Begriffe der extremen Rechten zurück. Heimat, Volk, Kultur und Tradition sind zentrale Schlagworte ihrer nationalistischen Ideologie. Kaum ein Posting bei Instagram oder Facebook kommt ohne ein solches Hashtag aus. 

 

Sie bewegen sich dabei in der Gedankenwelt der »Konservativen Revolution«, einer Strömung in der Weimarer Republik, die als Wegbereiter des Nationalsozialismus gilt. Verehrt werden Ernst Jünger, Carl Schmitt oder auch der italienische Rassentheoretiker und Faschist Julius Evola. Deren kulturpessimistische Ideologie wird mit neurechten Theorien aktualisiert, die bevorzugt aus dem Antaios-Verlag von Götz Kubitschek stammen. Man liest Rolf Peter Sieferles »Finis Germania« und fühlt sich in einer »Revolte gegen den großen Austausch«, so der Titel des identitären Klassikers von Renaud Camus aus Frankreich.

 

Auch in ihrem Auftreten zeigen die Identitären eine mythisch überhöhte Heimatverbundenheit, die sich sti-listisch an die völkische Jugendbewegung des frühen 20. Jahrhunderts anlehnt. Nicht nur ästhetisch stehen sie damit in der Tradition rechtsextremer Jugendverbände wie der verbotenen »Wiking-Jugend« oder dem »Sturm-vogel.  Kein Wunder, dass auch der aus Porz stammende Gründer des Sturmvogels und ehemalige »Bundesfahr-tenführer« der Wiking-Jugend, Rudi W., bei Veranstaltungen der Identitären auftaucht. 

 

Eine enge personelle und ideologische Verwobenheit gibt es auch mit der Alternative für Deutschland (AfD), wie einige jüngst vom Spiegel geleakte Chat-Protokolle belegen. In Köln ist es insbesondere der AfD-Landtagsabge-ordnete und ehemalige Stadtrat Roger Beckamp, der die Botschaften der Identitären Bewegung verbreitet. Ein -Bindeglied zur AfD ist auch das neurechte Lifestyle-Ma-gazin Arcadi, das der Leverkusener AfD-Vorsitzende Yannick Noé herausgibt. Beim Arcadi-Sommerfest im vergangenen Jahr sprachen die Shooting-Stars der identitären Szene: Martin Sellner aus Wien und Mario Müller aus Halle. Zahlreiche rechte Verlage und Modemarken wie »Phalanx Europa« stellten dort aus. Die Musik kam vom nationalistischen Rapper Chris Ares aus Bayern, man trank »Pils Identitär«. Arcadi spielt sich als rechtes Pendant zum Vice-Magazin auf, versorgt die Szene aber vor allem mit Tratsch und Klatsch. Berührungsängste mit -neonazistisch auftretenden Akteuren gibt es kaum. Der Neonazi Frank K. aus dem Rhein-Sieg-Kreis wirbt mit einer Anzeige für seinen »Sonnenkreuz Versand«.

 

Die Identitäre Bewegung versucht momentan, ihre regionalen Strukturen zu festigen. Auf einem »Rhein-kongress« Mitte Januar sollten die inzwischen 14 Ortsgruppen in Nordrhein-Westfalen vernetzt und organisatorisch  zusammengefasst werden. Wichtig ist dafür die sinnstiftende Gemeinschaftserfahrung mit Singen, Volkstanz und Biertrinken. Seit kurzem trainiert die Identitäre Bewegung Köln zudem wöchentlich Kampfsport, weil die »Polizei ganze Stadtteile überall in NRW aufgegeben« habe. Die junge Generation solle so für »die Rückeroberung der Heimat fit« werden. Bislang verteilte die »größte patriotische Jugendbewegung Europas« Aufkleber und Flyer, versucht mittlerweile aber auch mit Stammtischen neue Mitglieder zu werben. Ein Anstieg der Mitgliederzahl in den zweistelligen Bereich ist jedoch nicht bekannt.