»Gib ihnen zwei Jahre, dann knallt’s«: Siedlergenossenschaft in Zollstock, Foto: Marcel Wurm

Risse im Idyll

Die alternative »Indianersiedlung« steht für soziales Wohnen und Leben. Doch die Harmonie ist gestört

Weit draußen in Zollstock wird Großes geplant. Die Bewohner der Siedlergenossenschaft am Kalscheurer Weg, auch Indianersiedlung genannt, wollen neben ihrem Grundstück 17 neue Wohnhäuser bauen. Das Vorhaben vereint alles, was man heutzutage unter progressiver Stadtentwicklung versteht. Geflüchtete sollen dort gemeinsam mit Alteingesessenen einziehen. Es soll inklusive Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenwohnen geben. Um Kosten zu sparen, wollen die künftigen Bewohner mit eigener Muskelkraft daran mitbauen. Es ist ein Konzept, nach dem der Architekt Bodo Marciniak schon mit Obdachlosen in Ossendorf erfolgreich gebaut hat. Von ihm stammen nun auch die Pläne für das Bauprojekt der »Siedler«. 

 

Ehrenamtliche haben sich in sieben Arbeitskreisen zusammengefunden, um etwa über Finanzen, Mobilität und Energieversorgung der künftigen Siedlung zu beraten. So viel Engagement hat auch in der Lokalpolitik Eindruck hinterlassen, Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank und Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes (SPD) unterstützen die Pläne. Wohl auch auf ihren Druck hin hat das Liegenschaftsamt den Siedlern das Grundstück bis Ende des Jahres reserviert. »Es ist ein Projekt, gegen das eigentlich niemand etwas haben kann«, findet Ralf Leppin von der Siedlergenossenschaft. Gemeinsam mit seinem Vorstandskollegen Georg Brombach ist er maßgeblich für das Bauprojekt verantwortlich.

 

Doch es gibt Siedlungsbewohner, denen der große Beifall übel aufstößt. »Das ganze Gerede vom Bauen für Flüchtlinge dient dazu, die Kapital- und Machtinteressen des Vorstands zu verschleiern«, sagt Bernhard Weitzell. Seit Jahren schon liegen er und vier weitere Siedlungsbewohner, darunter auch ein Architekt eines renommierten Kölner Büros, mit dem Vorstand über Kreuz. Sie stören sich unter anderem daran, dass jeder der beiden Hauptvorstände Leppin und Brombach monatlich 1700 Euro von der Genossenschaft bekomme. »Diese Gehälter sind bei selbstverwalteten Wohnprojekten komplett überzogen.« Als Rechtfertigung komme da die Siedlungserweiterung als neues Betätigungsfeld genau richtig.

 

Weitzell hatte schon immer etwas für alternative Wohnprojekte übrig. Zunächst lebte der Lehrer auf einem Gemeinschaftshof im Bergischen Land. Dann lernte er seine heutige Frau und mit ihr die Indianersiedlung kennen. Weitzell war begeistert: Diese Wildheit mit den selbst gezimmerten Häusern, die Nachbarn, »vom Rotlichtmilieu bis zum Akademiker«. Doch seinen Sehnsuchtsort sah er nach und nach in einen Schauplatz spießbürgerlicher Auseinandersetzungen verwandelt. Mit Vorstand Georg Brombach streitet er derzeit vor Gericht, es geht um nicht weitergeleitete Bauanträge und illegale Untervermietungen. Die Siedlung schmücke sich damit, Studenten oder Mittellosen einen Platz im Bauwagen zu bieten, so Weitzell. Er selbst aber sei vom Vorstand prompt dafür abgemahnt worden, dass er eine junge Musikerfamilie auf seinem Grundstück kampieren lasse.

 

Die Indianersiedlung ist dafür bekannt, dass dort jahrelang jeder so bauen durfte, wie er wollte. Diese anarchische Tradition habe der Vorstand aber in willkürliche Klientelpolitik umgedeutet, argwöhnt Weitzell. Während man Unbequeme wie ihn abmahne, drücke man bei anderen ein Auge zu, ob beim Untervermieten oder dem Hanfpflänzchen — vorausgesetzt, sie unterstützen
den Vorstand bei seinen Vorhaben. So erklärt sich Weitzell auch, dass Leppin und Brombach kürzlich zum vierten Mal auf ihre Posten wiedergewählt wurden: Eine Hand wäscht die andere.

 

»Eine große Mehrheit will das Bauprojekt eigentlich nicht«, behauptet Weitzell. Tatsächlich stimmten im Juni 2017 rund drei Viertel der Mitglieder dagegen, dass die Siedlergenossenschaft den Bau durchführt. Deshalb mussten Leppin und Brombach im November 2017 die »Mietergenossenschaft« gründen. Auch dort sind die beiden im Vorstand. Leppin sieht das aber nicht als Misstrauensvotum. »Vielen Siedlern war das finanzielle Risiko zu hoch, das ist ja auch nachvollziehbar.« Die Neugründung verstehe sich als Schwestergenossenschaft, man teile das Ziel, sozialen Wohnraum zu schaffen. »Wenn wir nicht gehandelt hätten, würde uns heute ein Projektentwickler eine sechsgeschossige Riegelbebauung vor unsere Nase setzen.«

 

Leppin sagt, er wisse nicht, warum »die fünf Oppositionellen seit Jahren bei jeder Mitgliederversammlung nerven«. Sie spielten im Meinungsprozess keine Rolle. Dennoch vermögen es die Kritiker, die Siedler in Wallung zu bringen.

 

Bei der letzten Mitgliederversammlung im Februar gibt es Sprudelwasser aus Plastikbechern. Leppin und Brombach skizzieren noch einmal, wie die neue Siedlung einmal aussehen soll, erste Interessenten melden sich, die mit eigenen Händen mitbauen wollen. Als die Runde um Weitzell das Wort ergreift, ruft einer »Dummes Huhn«, ein anderer schreit: »Hört endlich auf! Es gibt Kräfte da draußen, die warten nur darauf, dass wir scheitern!« Der Moderator der Veranstaltung muss immer wieder zur Ruhe mahnen und Schultern tätscheln.

 

Es kursiert eine Faustregel, wenn es um Baugruppen geht: »Gib ihnen zwei Jahre, dann knallt’s.« Oft sind es Individualisten, die vom gemeinsamen Wohnen träumen und am Ende über die Farbe des Gartenzauns streiten. Mediatoren haben in den vergangenen Jahren mit gemeinschaftlichen Bau- und Wohnprojekten ein neues Betätigungsfeld gefunden, es findet sich eine Fülle an Fachliteratur zum Thema. Leppin fürchtet nun, dass die fünf »Oppositionellen« bei Stadt und Politik doch noch Zweifel am Bauprojekt säen könnten. Dabei gibt selbst Kritiker Weitzell zu: Gegen das Vorhaben ist eigentlich nichts einzuwenden. »Wir haben nur etwas dagegen, weil es von diesem Vorstand durchgeführt wird.«