Hat am ersten Sonntag im Juni frei: Fahrscheinautomat am Zülpicher Platz, Foto: Marcel Wurm

Freie Fahrt für freie Bürger

Am 3. Juni ist die Nutzung von Bus und Bahn in Köln umsonst. Ein Schritt in den kostenlosen Nahverkehr?

Es schlummern Schätze im Streckennetz der Kölner-Verkehrsbetriebe (KVB). Da wäre etwa die Linie 7. Sie schlängelt sich 26 Kilometer von Frechen-Benzelrath bis nach Porz-Zündorf im rechtsrheinischen Süden, als einzige Bahnlinie der Stadt fährt sie durchweg ober-irdisch. Oder die Linie 17: Wegen des Archiv-einsturzes gondelt die »Geisterbahn« nur einige hundert Meter zwischen Severinstraße und Bonner Wall — meist bloß mit einer Handvoll Fahrgästen. Nie war die Gelegenheit günstiger, solche Perlen des städtischen Nahverkehrs auszukundschaften: Am 3. Juni wird die Nutzung der Busse und Bahnen der KVB kostenlos sein. Köln begeht als erste deutsche Millionenstadt einen »fahrscheinlosen Tag«.

 

Auch Thomas Hegenbarth wird am diesem ersten Sonntag im Juni unterwegs sein. »Ich will erleben, wie das Angebot genutzt wird, und mit Leuten ins Gespräch kommen«, sagt der Ratspolitiker der Wählergruppe Bunt. Er hatte die Idee eines fahrscheinlosen Tags im Frühjahr 2016 in den Kölner Stadtrat getragen, als er noch die Piratenpartei vertrat. Ende vergangenen Jahres wurde die Aktion schließlich im Verkehrsausschuss beschlossen. Sie soll, so die Ziele der Stadt, die Hemmschwelle gerade bei Menschen, die nicht den ÖPNV nutzen, abbauen, für die KVB werben und so den Autoverkehr verringern, um Kölns Probleme mit schmutziger Luft in den Griff zu bekommen. 

 

Neben den zwölf Bahn- und 56 Buslinien werden auch die Leihrad-Angebote der KVB für 30 Minuten kostenlos zu nutzen sein. Das wird die KVB etwa 150.000 Euro kosten — 100.000 Euro als Ausgleich für entgangene Erlöse, 50.000 Euro für die Organisation. Zu der wird auch eine Evaluation gehören. Das Pilotprojekt soll den städtischen Verkehrsbetrieben, aber auch der Stadt wichtige Erkenntnisse liefern: Wie viele Menschen nutzen die KVB zusätzlich, wenn die Fahrten frei sind? Wie bewegen sie sich sonst fort? Würden sie dauerhaft auf Bus und Bahn umsteigen? Aber auch: Welchen Einfluss hat eine stärkere ÖPNV-Nutzung auf die Umwelt?

 

Thomas Hegenbarth erhofft sich zudem, die Idee eines fahrscheinlosen Nahverkehrs noch populärer zu machen: »Das hat einen solidarischen Aspekt. In der Kölner Bevölkerung gibt es dafür eine breite Basis.« Auch in der Kölner Politik wächst angesichts der Probleme mit Verkehr und Umwelt die Zustimmung: Den Antrag der Ratsgruppe Bunt unterstützte eine große Mehrheit, nur die FDP stimmte dagegen.

 

Zuletzt hatte die Debatte zum kostenlosen ÖPNV Anfang Februar Fahrt aufgenommen, allerdings auf Bundesebene. Die Bundesministerien für Umwelt und Verkehr waren bei der EU vorstellig geworden: Sie wollten Deutschland vor einem »Vertragsverletzungsverfahren« wegen überhöhter Stickoxid-Werte bewahren, das Mitte Mai aber dennoch eröffnet wurde. Um Strafen in Millionenhöhe zu umgehen, wollte man die EU auch damit beschwichtigen, in Städten mit besonders schmutziger Luft kostenlosen Nahverkehr anzubieten. Und fast nirgendwo in Deutschland ist die Luft so schlecht wie in Köln.

 

Fahren Kölner also bald kostenlos Bus und Bahn? »Bevor man darüber nachdenkt, müssen die Voraussetzungen für einen leistungsfähigen ÖPNV geschaffen werden«, sagt KVB-Chef Jürgen Fenske. »Heute schon drängeln sich die Fahrgäste in Bussen und Bahnen.« Fenske beschreibt ein Problem, das alle Großstädte haben: Die Kapazitäten des Nahverkehrs sind erschöpft. Bisher haben nur Kleinstädte wie Lübben oder Templin in Brandenburg das Experiment gewagt, und sind gescheitert. Als europäisches Referenzprojekt gilt neuerdings die estnische Hauptstadt Tallinn, die 2013 das Gratis-Ticket einführte.

 

»Wenn man einen kostenlosen Nahverkehr in Deutschland einführen möchte, darf das keine Eintagsfliege sein«, sagt Fenske. Bund, Länder und Kommunen müssten langfristig für eine Finanzierung sorgen. Bis zu zwölf Milliarden pro Jahr Euro würde das kosten. Dahinter stecken volkswirtschaftliche Berechnungen, die Bücher füllen.

 

»Wir haben noch dicke Bretter zu bohren«, sagt Thomas Hegenbarth. Er möchte, dass der 3. Juni nicht der letzte fahrscheinlose Tag in Köln bleiben wird. Er solle sich mindestens regelmäßig wiederholen. »Am liebsten regelmäßig 365 Tage im Jahr.«