Sanfter Blick, scharfe Sprache: Ngugi wa Thiong‘o

Der dekolonialisierte Denker

Ngũgĩ wa Thiong'o ist die Stimme des unabhängigen Afrikas. Jetzt ist er in Köln zu Gast

»Ich weiß nicht mehr, wie schleichend oder wie plötzlich, aber es wurde alles anders«, erinnert sich Ngũgĩ wa Thiong‘o in seinem autobiografischen Roman »Träume in Zeiten des Krieges« an seine Kindheit und Jugend zurück, in deren Verlauf mehr als einmal alles anders wurde. Der 1938 im kenianischen Kamiriithu geborene Autor wuchs in dem ostafrikanischen Land unter britischer Kolonialherrschaft auf, erlebte den antikolonialen Mau-Mau-Aufstand, im Zuge dessen Teile seiner Familie verhaftet und ermordet wurden, und studierte ab den frühen Sechzigern in Uganda. Sein Leben zwischen Tradition, der Welt seiner Eltern, und der Moderne, dem Studium und der Übersiedelung nach Großbritannien mit einem Stipendium nach seinem ersten Roman 1964, bestimmt sein Werk. 

 

Seine ersten Texte erschienen auf Englisch, im Laufe der Sechziger politisierte sich Ngũgĩ wa Thiong‘o, las antikoloniale und marxistische Schriften von Frantz Fanon und legte schließlich seinen britischen Geburtsnamen James Ngũgĩ ab. Ngũgĩ wa Thiong‘o schrieb ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr in der Sprache der ehemaligen Unterdrücker — seit 1963 war Kenia unabhängig —, sondern in seiner Geburtssprache Kikuyu. In zahlreichen Essays hat er sich mit dieser für ihn zentralen Wende seiner künstlerischen Laufbahn beschäftigt. Die englische Sprache sei Teil des kolonialen Denkens, so Ngũgĩ wa Thiong‘o, eine »Zauberformel für den Eintritt in die heiligen Hallen der kolonialen Elite«, auf deren Gastfreundschaft er in Zukunft verzichten wolle. 

 

1977 erschien das Theaterstück »Ich heirate dich, wann ich will«, das sich kritisch mit der postkolonialen Gegenwart seines Heimatlandes unter dem diktatorisch herrschenden Staatspräsidenten Jomo Kenyatta auseinandersetzte. Kurz nach seiner Premiere wurde das Stück verboten, Ngũgĩ wa Thiong‘o verhaftet, gefoltert und für ein Jahr ins Gefängnis geworfen, wo er auf Toilettenpapier den Roman »Der gekreuzigte Teufel« verfasste. Anfang der Achtziger erhielt er in Großbritannien Asyl, schrieb weiter Romane und Essays, und gilt spätestens seit dem Erscheinen von »Herr der Krähen« 2004, einem satirischen Roman um den Diktator der fiktiven Freien Republik Aburiria, als Kandidat für den Literaturnobelpreis — falls dieser jemals wieder vergeben werden sollte.

 

 

 

StadtRevue präsentiert

Mo 18.6., Rautenstrauch-Joest Museum, 19 Uhr, Eintritt frei, 


Ngũgĩ wa Thiong‘o: »Dekolonisierung des Denkens« Unrast, 272 Seiten, 18 Euro