Aufklärung in voller Blüte: WDR-Arkaden an der Nord-Süd-Fahrt, Foto: Marcel Wurm

Vorwürfe in Heavy Rotation

Der WDR will die Fälle sexueller Belästigung klären. Mitarbeiter kritisieren aber auch den Führungsstil

»Es gibt Situationen, da wünscht man sich, man hätte nicht recht gehabt.« Die Feststellung, die Intendant Tom Buhrow Anfang Mai im WDR-Rundfunkrat verkündete, klang wie ein großer Seufzer. Zuletzt hatte er dem Gremium im März über die Aufarbeitung der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs im Falle des Regisseurs Dieter Wedel Bericht erstattet. Damals hatte Buhrow vermutet, dass so etwas nicht nur im künstlerischen Bereich vorkomme, sondern in vielen großen Unternehmen. Da konnte er noch nicht wissen, dass danach ein großer Sturm über den WDR kommen und der Anstalt endgültig die Unbefangenheit austreiben würde. 

 

Eine gehörige Weile wirkte es aufgrund etlicher Presseberichte, als sei der WDR ein einziger Moloch, in dem hochrangige Belästiger jahrelang freie Bahn hatten. Im Wochen-takt wurde von neuen Fällen sexueller Belästigung im WDR berichtet, und die Senderleitung verschanzte sich immer wieder hinter der  Behauptung, dass man gründlich untersuche, aber wegen des Arbeits-rechts nichts Genaues sagen könne. Das sorgte für Verunsicherung in der Außenwirkung und bei den über 4100 festen Mitarbeitern im WDR.

 

Zur Unruhe trug bei, dass man sich mit dem Aufdecken von Missständen lange schwergetan hat. Das belegt beispielsweise der Umgang mit jenem Mann, den Buhrow im Rundfunkrat Fall A nannte. Es handelt sich um einen bildschirmbekannten Auslandskorrespondenten, dem von etlichen Frauen vorgeworfen wird, sie in sexuelle Bedrängnis gebracht zu haben. -Jahrelang blieb dies ungeahndet, obwohl viele behaupteten, davon habe doch jeder gewusst. Erst kam der Korrespondent mit einem Eintrag in die Personalakte davon, später wurde er freigestellt. Man untersuche, hieß es.

 

Im Rundfunkrat berichtete Buhrow auch von Fall B, einem gleichfalls bildschirmbekannten Mitarbeiter im Auslandsressort, der einigen Frauen Avancen gemacht haben soll. Wurden diese zurückgewiesen, soll er sie mit Entzug von Gunst und Aufträgen sanktioniert haben. Schon im Jahre 2010 waren Frauen, die sich derart belästigt fühlten, mit dem Problem an Arnim Stauth herangetreten, der heute im Brüsseler WDR-Studio arbeitet. Stauth vermittelte die Frauen an eine Personalrätin, der sie sich offenbarten. Allerdings wollten sie anonym bleiben, weshalb es bis heute keine nennenswerten Konsequenzen für den hinter Fall B steckenden Mitarbeiter gab. Nur Stauth hatte mit Folgen zu kämpfen. Er bekam eine Ermahnung von der Personalabteilung, nicht länger zu behaupten, es gebe im Haus Fälle von sexueller Belästigung.

 

Zwar wurde diese Ermahnung inzwischen zurückgenommen, aber sie wirft natürlich kein gutes Licht auf die Ermittler, zu denen als Chefredakteur auch der jetzige Fernsehdirektor Jörg Schönenborn zählte. Er habe damals nicht genügend Informationen gehabt, rechtfertigt er sich heute. Um aus der Defensive zu kommen, engagierte der WDR am 26. April die ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies. Die soll nun aufklären, ob der WDR sich angemessen um Aufklärung bemüht hat. Nicht nur bei Fall A und B, sondern auch bei jenen Vorwürfen, bei denen weitere hochrangige Mitarbeiter im Verdacht stehen.

 

Doch kaum war die unabhängige Aufklärerin Wulf-Mathies engagiert, rappelte es das nächste Mal im Vierscheibenhaus am Appellhofplatz. Am 29. April kam Fall C ins Spiel: Der WDR stellte seinen Fernsehspielchef Gebhard Henke frei. Gegen ihn lägen schwere Vorwürfe der sexuellen Belästigung vor, hieß es wochenlang, ohne dem Mitarbeiter gegenüber die Vorwürfe zu konkretisieren. Das taten dann sechs Frauen im Spiegel, darunter die Schriftstellerin Charlotte Roche, die sich beklagte, Henke habe ihr bei einer öffentlichen Veranstaltung die Hand auf den Po gelegt. Henke bestreitet das.

 

Wie auch immer es mit all den Vorwürfen im WDR weitergehen wird, ob es bis zum Erscheinen dieser Zeilen schon Entscheidungen oder gar neue Vorwürfe geben wird — es bleibt festzuhalten, dass etwas in der Anstalt nicht stimmt. Zu Tage getreten ist, dass nicht wenige das Klima im Sender als angstvoll beschreiben. Vor allem unter freien Mitarbeitern ist der Mut abhandengekommen, einem Redakteur zu widersprechen, weil der sonst leicht künftige Aufträge verweigern kann. Längst stehen die Fälle sexueller Belästigung nicht mehr allein im Zentrum der Diskussion. Eine Unternehmenskultur, in der man auch mal Kritik am eigenen Hause äußern dürfe, wird angemahnt.

 

Lange hat sich Buhrow geweigert, diese Bedenken ernst zu nehmen. Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass nicht nur bei ihm ein Umdenken einsetzt. Die eigentlich für Mai geplante Vertragsverlängerung von Jörg Schönenborn ist auf Eis gelegt. Erst will man warten, was Wulf-Mathies herausfindet und was für Folgen jene zu erwarten haben, denen sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Ob sich dann die Sturmwolken über dem WDR verziehen, wird sich zeigen.