Geplünderte Musik

Daniel Lopatin produziert als Oneohtrix Point Never Popmusik,

die auch als Kunstinstallation in großen Museen funktioniert

»Letztlich ist das alles Marketing-Lingo. Es ist einfach ein sehr abgedrehtes Konzert. Wir werden Büh-nen-elemente haben und Theaterbeleuchtung und aufblasbare Stücke und Projection-Mapping. Ich möchte das Konzert in all seinen Formen darstellen. Es ist wie bei Pink Floyds The Wall. Es bleibt aber ein Konzert — keine Kunst. Mir geht es um ein musikalisches Erlebnis«, sagt Daniel Lopatin. Die Verheißungen des großen Geldes, die in den letzten Jahren viele Musiker aus dem Bereich »Avantgarde und Experiment« auf Vernissagen und Museumsfest und zu Klanginstallationen trieb, jucken ihn wenig.

 

Der 35-jährige Musiker aus New York kennt sich aus. Immerhin kann er neben einer veritablen Karriere im Underground der Popmusik — insofern man bei seinem Label Warp noch von Underground reden mag — auch auf Kooperationen mit großen Institutionen zurückblicken. So entstanden Soundtracks für Ausstellungen etwa im Londoner Tate Modern oder dem MoMa PS1; doch Befriedigung stellte sich nicht ein. Mit leichtem Ekel und erheblicher Wut (oder andersrum) erklärt er im Interview, was ihn störe, wenn er an die oberflächlich betrachtet erfolgreiche Wechselwirkung von Musik- und Kunstwelt denkt: »Fast immer geht es darum, ein Marketing-Tool für das Museum zu verkörpern, damit dieses attraktiver für ein Publikum wird, das sich sonst nicht mehr schert. Musik bleibt weiterhin der Blue-Collar Worker unter den Kunstformen. Das findet die Hochkultur natürlich interessant.« Doch den Musikern, so Lopatin, wird immer nur ein kleiner Blick in die faszinierende Welt gewährt. »Uns wird nie erlaubt in den inneren Kreis vorzustoßen. Der Umgang bleibt gönnerhaft und herablassend. Während wir auf der Bühne stehen, passieren im Hintergrund die wahren Geschäfte. Es ist ein unbefriedigendes Gewerbe. Die profitieren mehr von mir, als andersherum.«

 

Mit dieser Meinung fällt Lopatin allemal auf; Anlass dieser Ausführungen war die Promotion von »Age Of ...«, seiner 13. Solo-Platte unter dem Namen Oneohtrix Point Never (OPN), einem Wortspiel das ähnlich funktioniert wie »100kommaNull«. Das verwirrende Werk des Down-to-Earth-Guys besteht aus Alben voller verzerrter Sounds aus dem Katalog des 80er-Jahre-Radios, dem Radioprogramm seiner Jugend. Gleich die gesamte Spannweite des Programms — von Barock-Konzerten bis zu Michael Jackson, von Fleetwood Mac zu Radio-Commercials — spielt immer wieder eine Rolle auf seinen Veröffentlichungen. Prominentestes Beispiel bleibt »Chuck Person’s Ecco Jam Vol.1«, das als Geburtsstunde des bis heute (kleinlich betrachtet) peinlich be-titelten Trends Vaporwave gilt.

 

Doch jede Generation kennt ihre Ausreißer: Während Punk sich selbst auffraß und »Rock The Casbah« produzierte, collagierte sich John Oswald die Seele aus dem Leib und erfand vor dreißig Jahren die Plunderphonics, ein wirklich radikales Projekt. »Geplünderte Musik« — auf der Suche nach den unaufgelösten Traumata der kommerziellen Medien. In ein ähnlich unheimliches oder hauntologisches Feld stieß Lopatin 2012, und auch heute mit »Age Of…« arbeitet der »Wall-E der Pop-Musik« (Selbstbezeichnung im Gespräch) weiter.

 

Ähnlich dem kleinen Roboter aus dem gleichnamigen Film, der vermeintlich ziellos eine Erde reinigt, die zum Schrottplatz verkommen ist, möchte er Ordnung in den Unrat bringen. Auch wenn das Emulation bedeuten mag: »Ich stellte mir beim Komponieren vor, ich sei Todd Rundgren oder Stevie Wonder. Ich spielte alle Instrumen-te über mein Midi-Keyboard ein — wie eine One-Man-Band.«

 

Aber über »Age Of ...« steht in großen Lettern: Kooperation. Mit James Blake, Anohni oder Vatican Shadow hat Lopatin gleich mehrfach namhafte Freunde zur Mitarbeit animiert. »Kooperieren« müssen auch verschiedene musikalische Stile; breit wie nie verbinden sich Folk und New Age, Future Bass und Barock, alte Hüte und neu Behauptetes zur besten OPN-Platte bis dato. Das gleiche Prinzip bildet Lopatin auch bei der anfänglich beschriebenen Konzertinstallation »Myriad« für New Yorks Park Avenue Armory ab. Diese multimediale »Concert-Scape« (O-Ton) verkaufte die venue auf Anhieb zweimal aus und wird in den kunstaffinen Kreisen New Yorks hoch gehandelt.

 

Nach über einem Jahrzehnt Solo-Konzerten tritt OPN nun erstmalig als Band auf. Mit deren Führung zeigt sich Lopatin noch überfordert, doch das soll sich bald bessern. Eines seiner Werk-zeuge: gemeinschaftliches Erleben bei gleichzeitiger Abgrenzung. »Wir Musiker sind die Gypsys der Kunstwelt. Wir hängen auf der nächsten Art-Show rum, betteln und hoffen, einen Mäzen zu finden.« Diesem Zustand gehe jedoch ein Missverständnis voraus: Anders als bil-den--de Künstler, die einerseits konzeptionell gleichberechtigt mit Sammlern und Kuratoren auf dem Kunstparkett agieren, seien Popmusiker meist nur die Entertainer. Andererseits funktioniere der Kunstmarkt grundlegend anders. Lopatin meint damit die Differenz in Zirkulation und Rezeption der künstlerischen Arbeit. Gerade in Zeiten von Streaming und Youtube und der All-Time-Verfügbarkeit von Musik ist dieser Unterschied zwischen den Kunstformen eher gewachsen, denn geschrumpft. Er hoffe, dass seine Kollegen das verstehen. Das gemeinsame Leid soll stärken, denn: »Die meisten Musiker haben kein Selbstvertrauen. Dabei kann man gut damit leben, dass unser künstlerisches Produkt wertloser Müll ist. Wenn man drei Jahre an einem Werk arbeitet, dem fast kein monetärer Wert zugesprochen wird, dann trifft das die meisten.«

 

Die monetären Zwänge des Le-bens löst er mit dieser Haltung nicht auf — dessen ist er sich be--wusst. Und erste Veränderungen sei-en schon erkennbar: »In Galerien ist das Verhältnis zwischen Art-World und Pop anders. Da gibt es ein ehr-liches Interesse an unserer Arbeit. Da wird man ernst genommen. Man begegnet sich auf -Augenhöhe.« 

 

Tonträger: Pneothrix Ponte Never, »Age Of« (Warp/Rough Trade), erscheint am 1. Juni.