»Ich bin im Grunde die neue Liza Minelli«

Kim Petras hat dem Schulmobbing widerstanden und ist

heute auf dem besten Weg, Popstar zu werden

Die Amerikaner nennen den Times Square in Manhattan auf ihre unnachahmliche Weise schlicht »The Center of the Universe«. Jährlich drängeln sich rund 50 Millionen Menschen durch die engen Bürgersteige. An Silvester wird hier traditionell der sogenannte Ball Drop vollzogen, eine Kugel wird herabgesenkt, um das neue Jahr einzuläuten. Und genau hier hing im Herbst vergangenen Jahres eine riesige Leinwand mit der jungen Kim Petras aus Uckerath, gut 3000 Einwohner, 30km von Bonn entfernt. Die Geburt eines Popstars — aus dem Westerwald. Oder wie sie selbst twitterte: »Ich bin im Grunde die neue Liza Minelli«. Nun war sie, die mittlerweile in Los Angeles lebt, wieder einmal in Köln, in der alten Heimat, um von ihrer sehr speziellen Geschichte zu berichten. Die in ihrer Grundschule beginnt. Mit Mobbing, das sie damals noch als Junge erlitten hat.

 

 

Kim Petras: Ich bin überhaupt nicht gern zur Schule gegangen, das war alles sehr schwierig. Ich hab mich schon immer gern über Klamotten ausgedrückt. An einem Tag bin ich in einem Latexkleid und Doc Martens gekommen, am anderen hatte ich krasse Schulterpolster, alles selbst genäht — und damit dann in die Jungs-Umkleide. Da haben die auf meine Sporttasche gepinkelt, Leute haben mir in der Pause ihr Essen an den Kopf geworfen, die ganze Zeit das Wort »Transe« rumgeworfen. Es war nicht alles schlecht. Ich hatte auch gute Erfahrungen. Dass die Mädchen gesagt haben, ich kann in ihre Umkleidekabine kommen. Und es gab auch Lehrer, die sich für mich eingesetzt haben. 

 

 

Wie hast du dich denn damals gefühlt, kannst du das beschreiben? Seitdem ich mich erinnern kann, konnte ich mich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ich von Geburt an hatte. Ich hab meinen Körper gehasst, ich wollte da raus. Ich war depressiv, weil ich nicht als Junge groß werden wollte. Da hab ich angefangen, unter meinen Sachen Kleider anzuziehen. Und da war ich erst fünf. Meine Eltern hatten von Anfang an Verständnis. Ich bin erst zwei Jahre zu Psychologen und Ärzten gegangen. Und alle haben gesagt, »Ihr Kind ist verrückt!« Die haben empfohlen, dass mir die Haare abgeschnitten werden und dass ich in Jungsklamotten zur Schule geh. Erst dann haben wir einen Spezialisten gefunden in Hamburg, der was damit anfangen konnte. Der hat gesagt: »Sie ist transsexuell.« Dann haben wir alle möglichen Gutachten gesammelt, und mit zwölf Jahren hab ich endlich männliche Hormonblocker bekommen. Da ging dann die weibliche Pubertät bei mir los. Seitdem fühle ich mich wie ich selbst. Ich fühle mich jetzt endlich ganz normal. 

 

 

Diesen an sich sicherlich schon schwierigen Prozess konnte ganz Deutschland mitverfolgen. Stern TV hat dich damals begleitet. Wie hast du das erlebt? Ich war zwölf, als die erste Dokumentation über mich rauskam. Meine Eltern und ich hatten uns dazu entschieden mitzumachen, weil wir Leuten helfen wollten, die keine Unterstützung bekommen. Wo das Kind sich ins andere Geschlecht quälen muss. Das ist Horror. Die Suizidrate ist riesig hoch bei solchen Menschen. Ich kriege wirklich bis heute noch Briefe von Leuten, die sich bedanken, weil ich ihnen geholfen habe, die Entscheidung zu fassen. Darauf bin ich wirklich stolz. 

 

 

Jetzt bist du in den USA auf dem Weg, ein Popstar zu werden, der frühere Manager von Britney Spears begleitet dich auf deiner Karriere. Wie ist es dazu gekommen? Ich war immer schon sehr zielorientiert. Ich bin nicht zu Partys gegangen, weil ich lieber Musik schreiben wollte, allein in meinem Zimmer. Schon mit zwölf. Da war mir im Grunde schon klar, dass ich eine Popsongwriterin werden will. So wie Madonna, Freddy Mercury, Cindy Lauper, das waren so Vorbilder.

 

 

Und dann kam dein Umzug nach Los Angeles, du hast ja wirklich aufs Ganze gesetzt... Ich bin wirklich ohne Geld dahin gezogen, hab auf Studiocouches geschlafen, bloß mit fünf Dollar am Tag. Es hat zwei Jahre gedauert, bis irgendjemand mal von mir einen Song aufnehmen wollte. Wie ich mir die Stadt damals vorgestellt habe! Der Hollywood Boulevard ist total dreckig, überall sind Obdachlose, überall liegen Spritzen und Nadeln rum. Überall siehst du geplatzte Träume in L.A. Darum geht es in meiner Musik. Es geht um Wunschvorstellungen und die Realität dahinter. Die ist ja oft langweilig und ich dramatisiere einfach gerne. Ich hab wirklich sehr hart gearbeitet. Teilweise habe ich drei Songs am Stück rausgehauen. Und ich habe viel gelernt. Zum Beispiel über die Struktur von Popsongs. Rihanna hat dann irgendwann einen Song von mir aufgenommen, der kam zwar nie raus, aber das hat mir total viel Buzz in L.A. gebracht. Das war halt mein Ziel: einen Song zu schreiben für jemanden mit einer großen Plattform. Um dadurch bekannt zu werden. Und dann mein eigenes Projekt zu machen. 

 

 

Ich höre bei dir so eine 80er-Idee, wie Songs aufgebaut werden. Popmusik ist heute ja etwas formlos und mäandert vor sich hin, bei dir gibt es klassisch Strophe — Refrain — Brücke. Ich mag klassisches Pop-Songwriterin. Also wie macht man ein Stück catchy? Wie poppt der Chorus noch mehr? Indem man den Pre-Chorus eine Oktave runtersetzt. Oder die Strophe hat einen anderen Flow als der Refrain. So was ist total wichtig. Aber viele wissen das nicht, deshalb läuft heutige Musik oft durch, der Refrain kommt vielleicht sogar nur einmal. Das ist cool. Aber gleichzeitig glaube ich an eine Grundformel. Nur so macht man Klassiker.

 

 

Info: Der definitive Erscheinungstermin ihres Albums steht noch nicht fest. Mittlerweile sind sechs Songs fertig, die Stück für Stück veröffentlicht werden.