Die toten Winkel der Film­geschichte

Der genossenschaftlich organisierte Filmverleih Drop-Out Cinema aus Mannheim stemmt sich mit seiner Arbeit gegen den Mainstream

Wenn die Liebe zum Kino groß genug ist, nimmt man so manches Elend in Kauf. Vom unbequemen Sitz über den schmatzenden Nachbarn bis zum dummen Zwischenruf kann ein Cineastenherz viel verzeihen. Selbst ein schlechter Film von Zeit zu Zeit kann die Leidenschaft nicht trüben. Wenn eine Kinokultur jedoch dauerhaft und ohne Aussicht auf Besserung in die Binsen geht und sich das Programm immer weiter in Richtung seelenloser Massenabfertigung mit beliebiger Franchise-Stangenware bewegt, führt nichts an einem klärenden Gespräch vorbei. Wäre eine Kinolandschaft, in der acht von zehn Multiplex-Sälen drei verschiedene Marvel-Filme in Rotation zeigen, wirklich erstrebenswert? Was wird aus den hochbegabten Schmuddelkindern aus dem Sandkasten der B- bis C-Movies und den verschollenen Schätzen aus den toten Gassen der Filmgeschichte? Wer zeigt die Dokumentarfilmexperimente und Essayfilme jenseits des öffentlich-rechtlichen Infotainments und wer schafft die Nischen für junge deutsche Film-Wagnisse abseits des Kinderfilms, der Klamotte und der History-Unterhaltung?

 

Für Jörg Van Bebber, Gründer des für obskure Kinokost, Underground und nicht kanonisierte Klassiker des Weltkinos spezialisierten Filmverleihs Drop-Out Cinema, war schon vor rund fünf Jahren klar, dass es keinen Sinn haben würde, zu warten, bis sich die Kinolandschaft von selbst zum Besseren wenden würde. »Mir war klar, dass mein Filmgeschmack im Kino nicht stattfinden würde, wenn ich mich nicht selbst darum kümmern würde«, erinnert sich Van Bebber an die Zeit vor der Dropout-Gründung. »In meiner Heimatstadt Marburg habe ich beim Traumakino, einem Kleinstkino innerhalb eines Kulturcafes, Erfahrungen mit Programmarbeit machen können. Schon da war klar, dass man in die Breite würde gehen müssen, da die Arbeit in der Nischenexistenz des Off-Off-Kinos doch immer härter wird.« So fanden sich Van Bebber und ein kleiner, aber enthusiastischer Kreis cinephiler Mitverschwörer 2013 am Rande der Berlinale in der Cineasten-Kneipe Z-Bar zusammen und riefen die Drop-Out Cinema eG ins Leben. Eine Flucht nach vorn.

 

»Wir standen früh vor der Frage, ob man den Weg des Vereins oder der Genossenschaft gehen sollte«, erinnert sich Van Bebber an die Gründungszeit: »Was Wirtschaftlichkeit und Basisdemokratie in der Struktur angeht, war bald klar, dass die Form der Genossenschaft das Rennen machen würde. Mit 250 Euro erkaufen Mitglieder sich Anteile und gestalteten fortan aktiv eine Szene, deren Fortbestehen ihnen genug bedeutet, um das Zepter selbst in die Hand zu nehmen.« Zwar werden dabei die unerforschten Hinterhöfe der Filmgeschichte mit archäologischer Neugier durchforstet, doch hat sich der Verleih seit seiner Gründung eben auch als Anlaufstelle und Förderer für die Outlaws und Einzelgänger des Gegenwartskinos empfohlen. So machten sich die Genossen unter anderem daran, Experimente wie RP Kahls Roadmovie-Sonnenstich »A Thought of Ecstasy« oder den Anthology-Horror »German Angst« an ein interessiertes Publikum zu tragen. Filme einer Art, die dieser Tage den Weg zu den Zuschauern finden müssen, nicht umgekehrt. »Drop-Out Cinema« hilft bei der Navigation: in Städten und der Provinz, großen Sälen und kleinen Programmkinos im ganzen Bundesgebiet. »Es ist immer ein Unterschied, ob man dabei in Städten oder der Provinz auftaucht. Auch wenn das Angebot in Städten durch eine breitere Kinokultur besser aufgestellt ist, bleiben Leute doch oft in ihrem Kiez, während man für so manchen Film in kleineren Städten und Gemeinden manchmal auch noch längere Wege in Kauf nimmt.«

 

Dabei kristallisierten sich über die Jahre verschiedene Projektgruppen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten heraus. Wo sich der Programmarm »Cinema Extravaganza« titelgerecht den filmischen Extravaganzen von Alejandro »El Topo« Jodorowsky bis Aleksei »Hard to be a God« German widmet und die »Dokfilm«-Reihe sich auf den Verleih von Dokumentarfilmen spezialisiert, konzentriert sich die »Cinema Obscure«-Reihe auf die Wiederaufführung von Genreklassikern. Neben den ersten drei Teilen von Clive Barkers betörend-drastischem BDSM-Horror-Epos »Hellraiser« gehört auch Don Coscarellis Fantasy-Horror-Sause »Phantasm« (Das Böse) um den dämonischen Totengräber Tall Man zu den Evergreens, die mit einer Wiederaufführung beehrt werden. Ein wenig schließt sich mit der Rückkehr des im vergangenen Jahr vom Index genommenen »Phantasm«  auf die Leinwand der Kreis. Als der Low-Budget-Schocker 1979 mit achtbarem Erfolg ins Kino kam, musste er sich gegen die gerade erst anlaufende Welle an Blockbuster-Franchises, Desaster-Spektakeln und Sci-Fi-Vehikeln durchsetzen — Produzentenkino ohne messbare Spuren im kollektiven Bewusstsein. Ein Blick in eine fade Zukunft. Die Kinolandschaft, die »Phantasm« in diesem Jahr zum fast 40-jährigen Jubiläum vorfindet, ähnelt dieser düsteren Prophezeiung und kommt einem Horror gleich, wie ihn selbst der Tall Man nicht entfesseln könnte.