The Rider

Chloé Zhao zeichnet ein behutsames Bild der Native Americans

 

In diesem Film tragen die Leute Cowboyhüte. Sie haben, obwohl sie Autos besitzen, täglich mit Pferden zu tun. Und sie sind umgeben von einer majestätischen Landschaft, die geradezu dem Klischee des Westernkinos entspringt. Im Zentrum der Handlung steht das Rodeo-Reiten, dessen Geschichte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Weshalb Rodeo-reiter gut ein Jahrhundert später von Hollywood — in Filmen wie John Hustons »Misfits-Nicht gesellschaftsfähig«, Sam Peckinpahs »Junior Bonner« oder Sydney Pollacks »Der elektrische Reiter« — zu Sinnbildern für das Freiheitsversprechen der Pionierzeit stilisiert wurden. »The Rider« scheint also von den Mythen des Wilden Westens durchdrungen. Umso mehr verblüfft, wie unangestrengt diesem kleinen Indiefilm der Eindruck von beiläufigem Realismus gelingt. Wobei Zhao dem Publikum nie unter die Nase reibt, dass ihre Figuren und Darsteller mehrheitlich Native Americans sind. 

 

Protagonist Brady galt als lokale Nachwuchshoffnung des Rodeosports, bis er in der Arena einen schweren Unfall erlitt, der eine Schädeloperation notwendig machte. Nun wird er auf Schritt und Tritt mit einem Dilemma konfrontiert: Freunde erwarten, dass Brady bald wieder an Wettkämpfen teilnehmen wird, wohingegen Ärzte und sein verwitweter Vater keinen Zweifel daran lassen, dass vorerst sogar normales Reiten lebensgefährlich ist. Letzteres wird auch dem Zuschauer nahegelegt, denn Zhao, die auch das Drehbuch verfasst hat, zeigt uns früh in einer Großaufnahme die Verletzung, die ein Huftritt an Bradys Schädel verursacht hat. 

 

Nach der Drastik der Szene, in der Brady sich unzimperlich chirurgische Metallklammern aus der Kopfhaut zieht, lässt der anschließende Verzicht auf dramaturgische Zuspitzungen die Klarheit des sparsamen Plots umso schöner zur Geltung kommen. Dazu passt wiederum das Spiel von Brady Jandreau, das in seiner Mischung aus Offenherzigkeit und Scheu im besten Sinne unprofessionell wirkt. Ähnliches gilt für die Leistungen von Tim Jandreau und Lilly Jandreau, wobei der Umstand, dass sie mit dem Hauptdarsteller den Nachnamen teilen, erahnen lässt, dass sie auch im realen Leben sein Vater und seine Schwester sind. 

 

In mancher Hinsicht spielt Brady Jandreau sich in »The Rider« selbst: Auch er war bis zu einem Unfall Rodeoreiter. Und die Videos von eigenen Auftritten, die sein Leinwand-Alter-ego sich auf Youtube ansieht — inklusive Huftritt gegen den Kopf — sind offenbar ebenso authentisch wie die Schädelwunde. Ebenso real sind der bescheidene vergangene Ruhm und die schwere gegenwärtige Behinderung der vierten zentralen Figur, des seit einem Verkehrsunfall gelähmten ehemaligen Rodeo-reiters Lane Scott, der als Bradys bester Freund in Erscheinung tritt. 

 

Angesichts der Gebrechen, mit denen sie uns konfrontiert, und angesichts der ärmlichen Lebensverhältnisse, die sie nebenbei skizziert, könnte man meinen, dass Zhao reales Elend ausbeute — zumal die in L.A. lebende Chinesin am hinterwäldlerischen Handlungsort, in der Pine Ridge Reservation in South Dakota, denkbar fremd ist. Abgesehen davon, dass die 35-Jährige am selben Ort bereits ihren Debütspielfilm (»Songs My Brothers Taught Me«) gedreht hat, wird solch ein Verdacht aber vor allem von der Sympathie widerlegt, die sie Bradys Leidenschaft entgegenbringt. Wenn der junge Mann unter seinesgleichen ist, wird zwar klar, dass sein Cowboy-Selbstbild Ausdruck eines tradierten Machismo ist. Aber dokumentarische Aufnahmen, die Jandreau bei der ebenso behutsamen wie gefährlichen Zähmung von Mustangs zeigen, vermitteln ein geradezu übersinnliches Gespür für diese Tiere. Man ahnt, dass Brady ohne Pferde nicht würde leben können — was vor dem Hintergrund der lyrischen Landschaftspanoramen, mit denen Zhao ihren geduldigen Erzählfluss akzentuiert, plötzlich ganz selbstverständlich wirkt. 

 

 

The Rider (dto) USA 2017, R: Chloé Zhao, D: Brady Jandreau, Tim Jandreau, Lilly Jandreau, 104 Min. Start: 21.6.