Hereditary

Ari Aster zeigt, dass hyperstilisierte Hipsterkost und greller Horror

keine Widersprüche sind

Was sind das für Zeiten, in denen das Horrorkino die Lust am schmutzigen Spaß verloren zu haben scheint? War der Besuch eines Schockers früher noch lustvolle Erkundung seelischer Grauzonen und Umarmung verdrängter Ängste aus sicherer bzw. voyeuristischer Distanz, hängt dem einst so tolldreisten Genre dieser Tage der Mief intellektueller Verdruckstheit an. Eine neue Welle amerikanischer Arthouse-Horror tritt dem Grauen mit der verkniffenen Haltung von Oberstudienräten entgegen. Die Hits heißen »The Witch«, »It Follows« oder »It Comes at Night« und bestechen in der Regel mehr durch Stilwillen als Spannung, erfreuen eher die Festivalkritiker als das Zielpublikum und beladen gern die simpelste Prämisse mit genug Subtext, um jeden  Hobby-Semiotiker froh zu machen.

 

Lange Zeit ist man besorgt, dass sich Ari Aster für »Hereditary« das Ziel gesetzt hätte, Klassenprimus dieses verkopften Studentenhorrors zu werden. Recht verdrießlich nimmt sich die gar nicht mal so originelle Prämisse an: Da versucht Annie (Toni Collette), den Tod der verhassten Mutter zu verarbeiten, während sich die Anzeichen häufen, dass die seit Generationen anhaltende Familientradition psychischer Krankheiten sowohl bei ihr selbst als auch bei Filius Peter (Alex Wolff) und Sorgenkind Charlie (Milly Shapiro) sich fortzusetzen scheint. Oder steckt mehr dahinter? Na klar! Hyperstilisierte Bilder, metafiktionale Sperenzchen, unterkühltes Schauspiel und ein atonal pluckernder Elektro-Score machen derweil klar: Horror und Hipster gingen lang genug getrennte Wege.

 

Auch an fadenscheinigen Deutungsansätzen herrscht kein Mangel. Ist die langsam an Fahrt aufnehmende Geisterstunde das Porträt schleichender Paranoia in einer zerrissenen Gesellschaft, eine Abhandlung über die Abstiegsängste des Mittelstands, ein überhöhter Generationenkonflikt oder doch nur wieder ein Brainstorm über Trump und wer die Schuld an ihm trägt? Zum Glück bleiben es Nebelkerzen. Als größte (und angenehmste) Überraschung erweist sich schließlich, dass Aster gar nicht daran denkt seinen Gestaltungswillen in den Dienst einer kleinlichen Moral zu stellen, sondern mit fortschreitender Dauer immer enthemmter und freimütiger in Trashgefilde abtaucht, wo weirder Selbstzweck und okkulter Hokuspokus das Zepter schwingen. Sind die Glacee-Handschuhe erstmal abgelegt, zeigen sich haarige Sleaze-Pranken, die wild aufs Nervenklavier einhacken und wunderbar grelle, geschmacklose Sinfonien voll derber Schocks, effizienter Jump-Scares und hysterischem Gekreisch entstehen lassen. Sinn macht zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel — Spaß dafür umso mehr. Böser Spaß. Der beste Spaß von allen.

 

USA 2017 R: Ari Aster D: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wollf, Milly Shapiro, 127 Min. Start: 8.6.