Tully

Jason Reitman erzählt mit schonungslosen Bildern und warmherzigem Humor vom Muttersein und -werden

Marlo ist zum dritten Mal schwanger. Ihre Älteste kommt gerade in ein schwieriges vorpubertäres Alter, ihr Sohn steht wegen seiner Verhaltensauffälligkeit kurz davor, von der Grundschule geschmissen zu werden. Und das Ungeborene zerrt im Bauch so schwer an ihr, dass sie kaum Luft bekommt. Nachts, wenn Marlo, gespielt von einer bewundernswert uneitlen Charlize Theron, zur Abwechslung eine halbe Stunde Schlaf bekommt, träumt sie von einer Meerjungfrau, die schwerelos durch tiefblaues Wasser gleitet. 

 

 

Abgesehen davon geht es nicht gerade märchenhaft zu in Jason Reitmans »Tully«. Reitman verklärt die Figur der Mutter nicht zu einem Fabelwesen, das Leben erschafft und dabei automatisch von innen heraus zu strahlen beginnt. Der Regisseur zeigt die Schwanger- und Mutterschaft in schonungslos ehrlichen Bildern (inklusive entzündeter Nippel, überschüssiger Bauchhaut und drohender postnataler Depression) und lässt uns in einer rhythmischen Montagesequenz an der schier endlosen Tortur aus nächtlichen Windelwechsel- und Fütterungseinsätzen mitleiden. Nach »Juno« und »Young Adult« hat er bei »Tully« ein drittes Mal mit der Drehbuchautorin Diablo Cody zusammengearbeitet, deren Humor die Balance gekonnt zwischen Warmherzigkeit und Biss hält. Egal, ob eine Fremde im Coffeeshop die hochschwangere Marlo mit hochgezogenen Augenbrauen darauf hinweist, dass auch in entkoffeiniertem Kaffee noch Spuren von Koffein enthalten sind oder die Schulleiterin stets ausgesucht höflich von Marlos Sohn Jonah als »eigen« spricht: Der Film hakt ziemlich überbewusst eine imaginäre Checkliste ab, um Marlo als Stellvertreterin aller vom gesellschaftlichen Druck gebeutelten Mütter auch wirklich gerecht zu werden. 

 

 

Die Geschichte, die Reitman und Cody um diese exemplarisch angelegte, aber durchaus gelungene Repräsentation herum stricken, überzeugt, weil sie so leichtfüßig erzählt wird. Plötzlich wird nämlich alles viel einfacher, als Marlo nach anfänglichem Widerwillen doch noch ein Kindermädchen anstellt. Eben diese Tully (Mackenzie Davis) scheint perfekt: Ein wandelndes Lexikon, entspannt im Umgang mit dem Baby und stets gut gelaunt. Sie putzt und bäckt Cupcakes und hat dazu auch noch einen makellos flachen Bauch. Endlich wieder eine Frau, die sich als Projektionsfläche eignet. Tully ist eine zeitgemäße Version von Mary Poppins — nur, dass es hier die Wiederherstellung der familiären Harmonie vor allem verlangt, sich beim Ausfüllen der Elternrolle nicht selbst zu verlieren.

 

 

Tully — Dieses verdammte Mutterglück (Tully) USA 2018, R: Jason Reitman, D: Charlize Theron, Mackenzie Davis, Mark Duplass, 96 Min. Start: 31.5.