Etwas besseres als der Tod: Strandspiele in »Sonatine«

Spiele am Strand

Auch das Kino macht mal Urlaub — Stadtrevue-AutorInnen empfehlen für die Daheimgebliebenen ihre liebsten Filme über die Ferien

 

»Griechische Feigen«
(1977) von Siggi Götz

 

Seit dem wirtschaftswunderbaren Schlagerfilm der 50er Jahre fährt das BRD-Kino gerne in den Urlaub. Mit heiteren Verwechslungen, leichter Musik und bekömmlichen Turteleien zelebrierte es das kleine Glück fernab der tristen Nachkriegs-Architektur zuhause. Als Spätausläufer dieses Kinos steht auch der deutsche Softsexfilm der 70er in dieser Tradition. Der spätere Gottschalk/Krüger-Regisseur Siggi Götz, heute als Sigi Rothemund für ZDF-Schnulzen zuständig, widmete sich Ende der 70er in einem ganzen Filmzyklus Nuditäten am Strand — am schönsten 1977 in »Griechische Feigen«. Darin haut Betty Vergès als Bürgerstochter Patrizia ihr Studiengeld für eine heimliche Reise Richtung Ägäis auf den Kopf, um dort wie eine Figur des BRD-Gammlerkinos zum entspannten Midtempo-Discopop von Gerhard Heinz durchs Küstenland zu stromern.

 

Auch wegen seiner weiblichen Hauptfigur steht der Film mit seiner melancholischen Spätsommerabend-Stimmung quer zu den Pennäler-Standards des Subgenres. Im Gegenteil: Zwei schmierige Typen kriegen frühzeitig ihr Fett weg; wenn Patrizia bei zwei Liebesvögeln im Zelt unterkommt, folgt dem nicht zwanghaft Gruppensex. Mit seiner unaufgeregten, sympathischen Leistungsverweigerung in karger Naturlicht-Inszenierung ist »Griechische Feigen« auch ein spröd-schönes Plädoyer für sexuelle Selbstbestimmung und ein entspanntes Verhältnis zum Körper. Bei einer Fahrt auf dem Meer streckt sich Vergès weit über die Reling und uriniert ins Meer: »Schau, ich kann auch im Stehen pinkeln.«

 

Text: Thomas Groh 

 

Griechische Feigen (dto) D 1977, R: Siggi Götz,
D: Betty Vergès, Olivia Pascal, Claus A. Richt,
90 Min.

 

 

»Traum meines Lebens«
(1955) von David Lean

 

Von seinen eigenen Filmen war David Lean »Traum meines Lebens« (1955) am liebsten. Gedreht wurde er in seiner Lieblingsstadt, mit seiner Lieblingsdarstellerin: Katharine Hepburn spielt Jane Watson, eine alleinstehende Sekretärin mittleren Alters, die sich eine Reise nach Venedig zusammengespart hat, um wenigstens einen ihrer Träume zu erfüllen.

 

Das Reisen verläuft nicht ohne Probleme: Die Leute werfen ihren Müll aus den Fenstern direkt in den Kanal — etwas später fällt Jane hinterher. Ständig bewegt sie sich in entgegengesetzter Richtung zum Strom der Menschen durch die engen Gassen, dazu der Geräuschpegel. Immer wieder hebt Jane auf diesen Streifzügen ihre 8mm-Kamera ans Auge, als wolle sie nicht nur ihren Blick aufzeichnen, sondern sich die Stadt zugleich auch vom Leibe halten. Doch ihr Blick bleibt nicht unerwidert: Die Paare in der Pension bedauern die Alleinreisende, ein Straßenjunge taucht wundersamerweise stets auf, wo sie ist, ebenso der Antiquitätenhändler Renato (Rossano Brazzi), ihr späterer Liebhaber. Als sie ihn findet, vergisst Jane prompt die Kamera, für den Moment darf sie ihren Traum vom Wunder in Venedig leben.

 

Bei all dem ist David Leans Film kein kitschiger Schmachtfetzen, sondern lebt von einer eigenwilligen Hauptfigur, die ihre Entscheidungen aus eigener Kraft trifft. »Traum meines Lebens« hakt nicht nur reizvolle Schauplätze ab, sondern verharrt bei ihnen, umkreist sie, kehrt immer wieder an sie zurück. Wollte man zwischen Touristen und Reisenden auch bei Filmen unterscheiden, wäre dieser hier ganz klar ein Reisefilm.

 

Text: Katrin Doerksen

 

Summertime dto) GB/USA 1955, R: David Lean,
D: Katharine Hepburn, Rossano Brazzi, Isa Miranda,
99 Min. 

 

 

»Sonatine«
(1993) von Kitano Takeshi

 

Auch gestandene Yakuza brauchen mal Urlaub. Wie sonst ließe sich die anstrengende und auslaugende Nachtarbeit im Neonlicht sonst aushalten? Selbst dem todesverachtenden Murakawa (Regisseur und Hauptdarsteller: Kitano Takeshi) steht es bis hier. Tagein, tagaus die gleiche Leier: Menschen erpressen, mit dem Tode bedrohen, Schnauzen polieren, Härte demonstrieren und gelegentlich mal einen säumigen Schuldner im Hafen ertränken — von den Kollegenschweinen ganz zu schweigen.

 

Als er auf die Abschussliste der Chefetage gerät, nutzt er die Gelegenheit, sich endlich die überfällige Auszeit in einem abgelegenen Unterschlupf am Strand zu nehmen. Gemeinsam mit einer Handvoll Schergen gibt er sich dort dem Müßiggang ausgedehnter Gangsterferien hin und lässt bei Spielen, Streichen und Albernheiten endlich mal Fünfe grade sein.

 

Kitano selber hat das blutige Sommermärchen als Abschluss seiner Lehrjahre als Regisseur beschrieben. Selbstbewusst nimmt er dabei zwischen Stühlen und Genres Platz und zeigt, dass auch die finsterste Todessehnsucht einen entspannten Strandurlaub nicht vermiesen kann. Unterlegt vom hypnotisch-minimalistischen Score Hisaishi Jōs weicht der triste Ton eines Gangsterfilms à la Melville schnell der Entspanntheit einer Rohmer’schen Sommerballade. Klar, dass der Ernst des Lebens Murakawa bald endgültig einholen wird, doch ahnte er ohnehin, dass diese Ferien vom Tod nicht von langer Dauer sein werden. 

 

Text: Robert Cherkowski

 

Sonatine (dto) J 1993, R: Kitano Takeshi, D: Kitano Takeshi, Watanabe Tetsu, Terajima Susumu, 94 Min.

 

Alle Filme lassen sich preiswert als DVD über
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