Ruhender Verzehr: Außengastronomie an der Aachener Straße, Foto: Manfred Wegener

Reise nach Jerusalem

Mit dem Sommer kamen die Stühle. Übernimmt die Außengastronomie die Kölner Bürgersteige?

 

Wer sich am Rudolfplatz niederlassen will, sollte sein Portemonnaie dabeihaben. An einem der zentralen Plätze der Stadt gibt es zwar viele Stühle, die gehören aber zu Eisdielen, Cafés und Imbissen. Ähn-lich sieht es in der Altstadt oder an der Eigelsteintorburg aus. Auch wenn man durch die beliebten Veedel in der Kölner Innenstadt spazieren geht, kann der Platz zum Schlendern knapp werden. Viele Gehwege verlaufen durch Außenbe-reiche von Cafés oder Restaurants. 

 

Außengastronomie wird im Kölner Stadtbild jedes Jahr präsenter, dafür braucht es nicht mal einen »Jahrhundertsommer«. Wem gehört die Stadt? Sind Plätze und Straßen nur noch denen vorbehalten, die zahlen? Schreiten die Privatisierung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums voran?

 

Wenn sich Politik oder Initiativen des Themas annehmen, geht es meist um die Reduzierung von Autoparkplätzen: privates Eigentum auf öffentlichen Flächen. Aber auch Logistik und Werbung begehren nach mehr Flächen — und halt eben die Gastronomie. »Die Kommerzialisierung von öffentlichen Flächen ist ein grundsätzliches Problem«, sagt Dirk Frölich, der bei der Initiative Agora Köln zum Thema arbeitet. »Wir sollten uns die Frage stellen: Was ist uns der öffentliche Raum wert?« Dieser sei ein Gemeingut zur sozialen Interaktion.

 

Dass Außengastronomie selten in die Kritik gerät, hat einen simplen Grund: Sie ist beliebt. »Ich bin entschiedener Befürworter von Außengastronomie, immer mehr Menschen drängen nach draußen«, sagt Grünen-Politiker Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister der Innenstadt. »Sie ist gut für die Menschen, für die Atmosphäre.« Ulrich Soénius, Vize-Hauptgeschäftsführer der Kölner Industrie- und Handelskammer (IHK), nennt Gastronomiebetriebe »hervorragende Gastgeber«. Er betont zudem die Wirkung auf Einzelhandel und Kultur. Dass Außengastronomie zurecht positiv besetzt ist, zweifelt auch Agora-Vertreter Frölich nicht an. Aber auch sie dürfe sich nicht unbegrenzt den Raum nehmen, der allen gehöre. »Aus dieser Perspektive ist die gute Lobby der Gastronomie ein Problem.« Er hält einen Verzehrzwang für problematisch. Nur wer zahlt, darf bleiben.

 

Was Gastronomen vor ihrer Tür aufstellen dürfen, legt die Stadt fest. Grundsätzlich erfolgt für eine sogenannte Sondernutzungserlaubnis eine Abwägung zwischen den »Ansprüchen des Gemeingebrauchs« und den »Interessen des Nutzers«. Entschieden werde im Einzelfall, erklärt die Stadt, und zwar nach Lage der Fläche, Restgehwegbreite oder Einbettung in die Umgebung. Gastronomen beschreiben das als willkürlich. »Wir wünschen uns eine konstruktivere Haltung bei Anfragen«, sagt Ulrich Soénius von der IHK. Durch viele Einzelfälle ist zudem Wildwuchs entstanden. Die Gesamtfläche, die für Außengastronomie genutzt wird, erfasst die Stadt erst gar nicht. Derzeit seien nur »in einzelnen Bereichen Kölns« Außen-gastronomieflächen oder »Mehrzweckflächen« definiert, heißt es. Eine übergeordnete Strategie, ein Leitbild? Fehlanzeige. Stattdessen: »Die Entwicklung ist maßgeblich durch die Nachfrage bestimmt.«

 

Doch die Probleme von immer mehr Außengastronomie sind augenscheinlich. Die meisten Plätze werden durch kommerzielle Angebote bespielt, auch weil Gastronomen durch die hohen Mieten für Ladenlokale auf zusätzlichen Einnahmen angewiesen sind. »Durch Stadtmobiliar und ausreichende Fläche sollte aber eine Mischnutzung gewährleistet werden«, fordert Dirk Frölich von Agora. Doch Sitzgelegenheiten sind rar, auch an Straßen, die meisten Plätze sind nicht dafür vorgesehen, dass man sich dort aufhält. »Wir brauchen mehr Bänke. Für die Schildergasse haben wir das schon erstritten«, sagt Bezirksbürgermeister Hupke.

 

Die Bezirksvertretungen Innenstadt und Ehrenfeld stimmten bereits 2016 für »Sitzen statt Parken«: Gastronomen können Stellplätze vor ihren Lokalen in Gastronomie umwidmet. Das Angebot wird gut angenommen. »Dann wird Fußgängern nicht der Platz weggenommen«, so Hupke.

 

Wo Gehwege durch Außenterrassen verlaufen, ist meist kein Durchkommen — erst recht nicht für Menschen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen. Hupke sieht »neuralgische Punkte« vor allem in der Altstadt, aber auch am Beginn der Aachener Straße. Sein grüner Parteikollege Andreas Wolter, Vorsitzender des Verkehrsausschusses, will den Radweg dort nun auf die Fahrbahn holen und eine Tempo-30-Zone einrichten. Dann hätten sowohl Gastronomie als auch Fußgänger wieder mehr Platz.

 

Die Überlegungen der Politik eint ein Gedanke: Der öffentliche Raum ist ein begrenztes Gut, mit dem man haushalten muss. Bekommen die einen mehr, bleibt weniger für die anderen. Ereilt man dem Wunsch eines engagierten Café-Betreibers nach Bestuhlung auf dem Gehweg eine Absage, kann das auch eine Zusage sein — an urbanen Lebensraum für alle.