Erlösung in Sepiatönen

Leon Bridges ist der Soul-Künstler der Stunde, weil er alle Klischees aushält

Höchststrafe: Wer als Musiker in Klischees singt und spielt, in Formen, die jemand anderes geschaffen und vorgelebt hat und die er dann als abgenutzte und verlebte einfach wieder aufgreift und recht bewusstlos reproduziert, kann -einpacken. Mindestens in den Augen der Kritik. Weil man die Musik verraten hat zugunsten eines gedankenlos opportunistischen Moves. Es bleibt einzig noch die Bühne auf Stadtteilfesten in Worringen, Hilden oder Troisdorf, wo man eine gut geölte Beatles- oder Genesis-Coverband immer zu schätzen wissen wird.

 

Was aber, wenn es umgekehrt ist? Wenn man sich nicht eines Klischees bedient, sondern in einem solchen lebt? Wenn alles um einen herum schon mal dagewesen ist und vorgelebt wurde und man gar nicht anders kann, als einen Weg zu gehen, den nachzuzeichnen sich nur noch Hollywoods B-Regisseure wagten? Den Soulsänger Leon Bridges kannte vor vier Jahren niemand, seit drei Jahren ist er auf Welttournee. Sein ersten Album »Coming Home«, das im Sommer 2015 für die breite Öffentlichkeit aus dem Nichts kam und das so edel verstaubt klingt, als hätte es fünfzig Jahre im Archiv von Columbia Records gelegen, chartete auf Anhieb — weltweit. Das jüngst erschienene »Good Thing« (ebenfalls auf Columbia) entwickelt sich noch erfolgreicher. Bridges arbeitete bis 2014 unter anderem als Tellerwäscher, der Mann, dessen Stimmkraft die Soul-Afficionados schon auf eine Stufe mit Sam Cooke und Percy Sledge stellen, traute sich das Singen eigentlich gar nicht zu, erste Anläufe, zeitgenössische R’n’B-Tracks zu covern, gab er schnell auf. Er machte stattdessen eine Ausbildung als Tänzer und Choreograph.

 

Ein Tellerwäscher, der sich nicht zu singen traute, der aus dem tiefsten Texas stammt und als Nerd im Schlafzimmer alte Soul-Klassiker geradezu inhaliert und sie zu eigenen Stücken weiter gesponnen hat? Weil der Autodidakt auf seiner Akustikgitarre einfach mal mitklampfte und darüber zu eigenen Melodien fand? Wer denkt sich denn so was aus? 

 

Und es geht noch weiter. Irgend-wann tritt er auf, tingelt in seiner Heimatstadt Fort Worth von einer zur anderen Open-Mic-Session. Langsam spricht sich seine Sangeskunst herum. Seine emotional aufgeladene Musik hebt lakonisch an — verdankt sich paradoxerweise diesem lakonischen Vortrag: Da trieft nichts, schlägt nichts über die Stränge, da wird nicht geschrien und grimassiert, das ist fast schon schüchtern, nur über den präzisen, behutsamen, sparsamen Vortrag stellt sich die Aufladung her. Das Schlagwort der Stunde — Achtsamkeit — ›es trifft auf Bridges‹ Performance allemal zu. Und wie zur Belohnung, dass er kein Aufschneider ist, wird er im Herbst 2014 auf einigen Blogs gepusht, plötzlich kursieren Stücke von ihm, eine dieser derzeit so angesagten Südstaaten Bands, White Denim, nimmt sich seiner an und produziert ihn. Das Sounddesign, was sie ihm verpassen, ist durch und durch vintage, »Coming Home«, sein erster und immer noch größter Hit klingt übertrieben analog. Innerhalb weniger Wochen ist der Hype da, und der damals 25jährige Bridges kommt daher wie der große, aber schon fast vergessene Soul-Barde aus der Nachbarschaft, der mal ganz weg war, den man aber jetzt gar nicht genug für sein Comeback bejubeln will. Alles so vertraut, alles so aufregend.
Rührend.

 

Dazu hat sich Bridges eine etwas überkandidelte Video-Ästhetik erschaffen, durch die der auch im wirklichen Leben als schüchtern geltende Musiker mit seinen Satin-Hemden und den gebügelten breiten Kragen wie ein Erlöser gleitet, der doch keiner sein will. Er gibt die Mission zurück an sein Publikum: Erhebt euch selbst! »River«, ein weiterer Hit des ersten Albums, folgt emotional dieser Dramaturgie, das Stück entwickelt sich aus einem einfachen Melodiekürzel, und während Bridges von Leid und Erlösung singt, von Verletzung und Heilung, von Entfremdung und Nähe, von der reinigenden Kraft des Wassers — ergriffen steht der Sänger am Schluss in Regen — spart sich das Stück jeden Ausbruch, einzig die Sängerin Brittni Jessie, die von Beginn an mit Bridges zusammenarbeitet und atemberaubend harmoniert, fügt noch eine weitere emotionale Farbe hinzu.

 

Politisch ist »River« nicht, obwohl das Video Bilder von Armut und Verelendung zeigt. Auch die anderen Hits darf man sich nicht als Kommentare zum Zeitgeist vorstellen oder als Zitate einer retro-revolutionären Ästhetik. Es scheint, also würde ihm das übel genommen: Schwar-ze Radio-DJs spielen ihn kaum, schwarze Musikblogs sprechen ihm die Relevanz für die afro-amerikanische Community ab, ein Auftritt auf dem renommierten Black-Music-Festival »Roots Picnic« geriet für Bridges zu einem Desaster. Das geht ihm durchaus an die Nieren, aber er gibt den Ball wieder zurück und lehnt es explizit ab, etwa Anti-Trump-Stücke zu schreiben. In einigen Videos zitiert er texanische Lebenswelten: eine weiße Freundin, Typen mit Cowboy-Hüten, die Landesflagge. Mehr Realität lässt er aber nicht zu.

 

Seine Musik hat versöhnende Kraft. Diesen Satz darf man ruhig stehenlassen, ehe die Einschränkung folgt: Sie gilt für den menschlichen Nahbereich, es ist eine geflüsterte. Bridges lebt aus dem Klischee heraus, ohne selber Klischees zu reproduzieren. Das gelingt ihm beeindruckend. Seine klare Stimme wärmt. Eine Erfolgsformel für die stürmische, unsichere Zukunft ist das aber leider nicht.

 

Stadtrevue PRÄSENTIERT

 

Konzert: Mi 24.10., Live Music Hall, 20 Uhr 

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