Die unheimliche Abwesende beschäftigt die Anwesenden: Sahra Wagenknecht

Inszenierung und Erneuerung

Kölner Linke suchen Einigkeit, aber wollen von der Sammelbewegung »Aufstehen« nichts wissen

Geht das? Mehr als zwei Stunden über die gemeinsame Schnittmenge von Linkspartei und SPD zu reden, über gemeinsame Ziele, gemeinsame Strategien, gemeinsame Selbstkritik, und nicht einmal »Aufstehen« zu erwähnen oder den Namen Sahra Wagenknecht fallen zu lassen? Das geht.

 

Die Linke und die SPD hatten am 18. September zum großen Kölner Austausch geladen, Frage des Abends: »Was ist heute links?« Flotte anderthalb Jahre hatte die Vorbereitung gedauert, dann stand das Podium, das sich an Thesen des Politikwissenschaftlers Uli Schöler abarbeitete. Man traf sich in der SPD-Parteizentrale auf der Magnusstraße, der Saal rappelvoll mit eher älterem, eher männlichem und nur wenig migrantischem Publikum. Schöler, der eigens aus Berlin angereist kam, ist einer der letzten — halbwegs — bekannten SPD-Intellektuellen, stellvertretender Direktor beim Deutschen Bundestag und Professor an der Freien Universität Berlin. Er kritisierte SPD und Große Koalition von links, bekannte sich aber auch zur Erneuerung der Partei. Das Projekt #aufstehen, das als selbsternannte Sammlungsbewegung dafür einstehen will, eine Erneuerung der parlamentarisch-linken Parteien in Deutschland von außen zu erzwingen, spielte in seinen Überlegungen keine Rolle.

 

Das traf auch für seine Diskussionspartner zu. Mit Jochen Ott und Gabriele Hammelrath von der SPD sowie Hans-Günter Bell und Matthias Birkwald von der Linken war durchaus lokale Parteiprominenz vertreten. Der Kölner DGB-Vorsitzende Witich Rossmann, der wagemutig dialektisch ein Plädoyer für die große Koalition und marxistisches Vokabular zusammenbrachte, moderierte. Groß war der Wunsch nach Einigkeit im Publikum wie auf dem Podium, vielleicht war es aber auch nur die Freude darüber, dass nach so langer Anlauf-zeit die Veranstaltung endlich stattfand.

 

Auf Nachfrage nahm Schöler doch noch Stellung zu #aufstehen. Die Vorbehalte sind groß: da ist die Profilierungssucht von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, die Initiierung einer Bewegung »von oben«, vor allem ihre Haltung zur Migrationspolitik und zum Neofaschismus. Dass von #auf-stehen-Initiatoren und Unterstützern eigentlich nichts zu dem Chemnitzer Mob zu hören war, empörte. Hinter vorgehaltener Hand bekräftigten auch andere Teilnehmer diese Vermutung: Dass vom »Team Sahra« nur ein paar oberflächliche Bemerkungen zu Chemnitz kamen, sei weder einem Versehen noch der Unprofessionalität einer jungen Bewegung geschuldet, sondern Absicht.

 

Inhaltlich trifft die Kritik zu. #aufstehen hat eine offene rechte Flanke, weil die Initiatoren ein dominantes Klischee bedienen, das AfD-Wähler, »besorgte Bürger« und ordinäre Neonazis allesamt teilen, nur kommt es bei #aufstehen« aus vermeintlich linker Perspektive: dass es nämlich ein saturiertes, intellektuell abgehobenes »linksliberales« Milieu gäbe, welches zwar unablässig von der Einwanderungsgesellschaft rede, aber von ihren Kosten nichts wissen wolle. Wer sich halbwegs ernsthaft mit realen politischen Problemen auseinandersetzt, weiß, dass es dieses geschlossene Milieu nur als Phantasma gibt und dass eine Kritik daran vor allem auf Ressentiments gegenüber Minderheiten beruht. Insofern stehen die Parteiapparate von SPD und Linkspartei tatsächlich links von #aufstehen.

 

Uli Schöler bemerkte, dass keine soziale Bewegung existiere — von den Umweltschützern über TTIP-Kritiker bis zu den Mieteraktivisten —, in der die SPD verankert sei. Man müsste ergänzen: Auch die Linkspartei, die sich vor 14 Jahren nicht zuletzt aus der Anti-Hartz-Bewegung speiste, entwickelt sich zur klassischen Institutionen- und Parlamentspartei. Die Frage ist nun: Warum sollte sich das, angesichts so vieler ausgelassener Chancen, eigentlich noch ändern? Es ist ja nicht nur eine Reihe von ärgerlichen politischen Fehlentscheidungen, die zur Entfremdung der Parteien von den sozialen Bewegungen geführt haben. Jochen Ott gab sich geradezu klassenkämpferisch engagiert und schwor die Linken darauf ein, wieder in die Kölner Problemviertel »reinzugehen«. Bloß, wartet man dort wirklich auf Vertreter der Agenda-2010-Partei? Wagenknechts Rhetorik, ihre Inszenierung und ihr AfD-Opportunismus sind gelinde gesagt beunruhigend. Aber sie weiß den Zeitgeist zu nutzen, dass eine Erneuerung linker Politik nicht mehr aus den Parteiapparaten selber kommen wird.

 

Ob über den Sahra-Hype hinaus #aufstehen an linke Kölner Lebenswelten anknüpfen kann, wird sich zeigen, die rasche Gründung von Stammtischen und Diskussionszirkeln ist angekündigt. Am Abend in der Magnusstraße gab sich kein #aufstehen-Fan zu erkennen. Dort war der Tenor, dass sich in den nächsten drei Monaten entscheidet: Bleibt es bei den Klicks im Netz oder fordert #auf-stehen die Kölner Bewegungen doch heraus? Was für sie im Sinne der Selbstbehauptung nicht das Schlechteste wäre.