»Girl«

Lukas Dhont erzählt in seinem in Cannes ­ausgezeichneten Queer-Drama vom Kampf ­einer jungen Ballerina

 

Lara ist daran gewöhnt, ihren Körper zu schinden. Als Ballerina mit großen Ambitionen — und als 15-jähriges Mädchen, das als Victor geboren wurde und eine Hormontherapie beginnt, die sie auf ihre Geschlechtsumwandlung vorbereitet. Regisseur Lukas Dhont zeigt alltägliche Situationen aus Laras Leben: Tanzproben, Gespräche mit Ärzten, angstvolle Blicke in den Spiegel. So lässt er uns immer tiefer in ihre inneren Konflikte eintauchen und scheut sich auch nicht davor, Dinge mit medizinischer Akkuratesse beim Namen zu nennen und die blutigen Zehen unter den rosa Satinschuhen zu zeigen.

 

Man könne manche Dinge eben nicht verändern, stellt eine Figur in »Girl« entschieden fest. Lara wird sie Lügen strafen. Denn sie ist es gewohnt, zu erreichen was sie will, sich dafür notfalls auch zu quälen. Als die 15-Jährige mit der Hormontherapie beginnt, wurde sie gerade an einer der wichtigsten Ballettschulen des Landes angenommen. Die Hormone sollen eine Imitation der weiblichen Pubertät bewirken, wie die Ärzte erklären, aber eigentlich kennt Lara kaum etwas Anderes, als dass ihr Körper unentwegt Grenzen sprengt.

 

Das Drama des Belgiers Lukas Dhont wurde 2018 in Cannes mit einer Goldenen Kamera für das beste Regiedebüt sowie der Queer Palm ausgezeichnet. Die Schönheit des Hauptdarstellers changiert zwischen männlichen und weiblichen Attributen. Wenn Dhont Laras Momente mit der Familie, Ballettstunden allein oder im Ensemble zeigt, vollzieht er durch nuancierte Verschiebungen der Kamerawinkel, der Brennweiten und Schnittrhythmen Laras Wahrnehmung nach. Eine U-Bahnfahrt kann zum seltenen Moment der Ruhe werden — aber auch, wenn ihr ein Streit mit dem Vater vorausgegangen ist, zur Stresssituation, in der jede zufällige Berührung zu viel ist.

 

So dringt Dhont wie mit einem unablässig rotierenden Erdbohrer zum Kern von Laras Persönlichkeit vor, setzt den Druck frei, der auf ihr lastet: Die beiläufigen Demütigungen (in der Schulklasse wird darüber abgestimmt, ob sie die Umkleiden der Mädchen benutzen darf), Laras unerfüllter Wunsch, endlich die Hormondosis zu erhöhen. Die Qualen, denen sie ihren Körper in den Proben aussetzt, um zu den anderen Tänzerinnen aufzuschließen. Immer ist sie die Größte unter den Mädchen, ihr Körper der härteste, der am wenigsten geschmeidige. Aus beinahe unangenehmer Nähe folgt die Kamera ihren Pirouetten, bis ein gezielter Sprung kaum noch von desorientiertem Taumeln zu unterscheiden ist.