Im Schattenreich

Julien Ceccaldi inszeniert im Kölnischen Kunstverein ein begehbares Manga-Märchen

 

In der ersten Ausstellung unter neuer Leitung lädt Nikola Dietrich zur Märchenstunde ein. Begünstigt durch den Direktorenwechsel ruhte für zwei Monate der Ausstellungsbetrieb, so dass sich dem kanadischen Künstler Julien Ceccaldi (*1987) die einmalige Gelegenheit bot, seine Werke unmittelbar vor Ort entstehen zu lassen. Das Ergebnis ist eine Achterbahn der Gefühle, die kein noch so abgebrühtes Kunstbetrachter*innenherz unberührt lassen dürfte. 

 

Der facettenreiche Märchenstoff ist einem Manga-Comic Ceccaldis zu entnehmen, der zur Ausstellung erschienen ist. Erzählt wird die tragische Geschichte von Solito, so auch der Titel der Ausstellung. Der 30-jährige Solito lebt noch immer bei seinen Eltern und wird von ihnen am Erwachsenwerden gehindert. Im Bett mit seiner geliebten Puppe Marie-Claude phantasiert er seine erhoffte Entjungferung. Als eine Art Königin der Nacht entführt Marie-Claude den Protagonisten in ihr Schloss, wo ewiger Müßiggang neben süßen Leckereien den Tag bestimmen. Dort entdeckt Solito seine Zuneigung zum Adjutanten Oscar, der gleichzeitig den leibhaftigen Tod verkörpert. Aus Eifersucht von Marie-Claude aus diesem Schattenreich verstoßen, veröffentlicht Solito Jahre später seine Aufzeichnungen und hat damit Erfolg. Seine verborgenen Sehnsüchte bleiben jedoch unerfüllt. Wohlmeinend -dürfen wir unterstellen, dass der Handlungsfaden der Geschichte gleichnishaft zu verstehen und eine zeitgemäße Auflösung in Betracht zu ziehen ist.

 

Für seine erste institutionelle Ausstellung überhaupt hat Julien Ceccaldi den Kunstverein in einen Parcours verwandelt, der mit morbiden Skulpturen, Bildern, Skizzen und Installationen den linearen Erzählstrang des Comics in Bilder und Szenen auffaltet. In der Fensterfront hängende bemalte Folien vermitteln bei Dunkelheit den Eindruck eines Horrorkabinetts. Diverse Motive sind den Märchen Hans-Christian Andersens und dessen Biografie entnommen, als einsamer Außenseiter der dänischen Gesellschaft. Stellenweise erinnert Ceccaldis Phantasiewelt aber auch an die ausufernde Selbstinszenierungen eines Michael Jacksons. 

 

Julien Ceccaldis Bildschöpfungen kommen virtuos und opulent daher. Visuell und erzählerisch sind sie stark an japanische Mangas der 80er und 90er Jahre angelegt. Es sind Arbeiten voller Laster und Leidenschaften, die verstören, weil sie sich dem Bösen im infantilen Gewand verschrieben haben. Man erkennt in ihnen durchaus ein Signet unserer Zeit.

 


Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6,  Di–So 11–18 Uhr, bis 11.11., Rahmenprogramm mit Film und -Vorträgen: koelnischerkunstverein.de