Glänzende Verwüstung

Stefan Bachmann inszeniert »Tyll« als Kampf mit Wasser- und Textmassen

Die Welt ist abgesoffen. In Chaos, Gewalt, Elend und Dreck des Dreißigjährigen Krieges, den Daniel Kehlmann in seinem Roman »Tyll« schildert. Auf der Bühne des Kölner Schauspiels heißt das: »Land unter«. Knietief steht die riesige Spielfläche des Depots in Mülheim unter Wasser, den ganzen Abend herrscht tiefschwarze Dunkelheit auf dieser Bühne. Einsam werden die Figuren dieses Bilderbogens herausgeleuchtet in ihren Barockgewändern: die landlosen Könige und ehrgeizigen Königinnen, die wandernden Prediger, die verirrten Ritter und geschlagenen Kämpfer, die abergläubischen Geisterseher und natürlich das fahrende Volk.

 

Das ist die Welt des Narren Tyll Ulenspiegel, den Daniel Kehlmann zum Titelhelden seines Romans gewählt hat und der der sich mit anarchischem Überlebenswillen durch diese Welt schlägt. Hausherr Stefan Bachmann hat den Abend inszeniert und gemeinsam mit -seinem Dramaturgen Julian Pörksen auch die Theaterfassung des Erfolgsromans eingerichtet. So gut wie alles, was gesprochen wird an diesem Abend, ist Originaltext. Das fast 500 Seiten starke  Buch wurde nur eingekürzt und vor-sichtig neu montiert.  

 

Dem Schauspiel gelingt mit diesem Abend ein anspruchsvoller Start in die Spielzeit. Es ist eine Überfülle von Geschichten, die die 13 Schauspieler präsentieren. Die meisten müssen sich in drei bis fünf Figuren verwandeln und schaffen dabei eindrucksvolle Momente. Die ästhetische Form ist klar, allerdings ist die glänzende Wasserfläche mit ihren aparten Lichtspiegelungen vielleicht doch zu schön, um die Verwüstungen des Krieges heraufzubeschwören. Vor allem gestattet sie überhaupt nichts an Aktion, außer dass man sich unter Widrigkeiten vorwärts kämpft. Auf einer Wegstrecke von vier Stunden wirkt das ermüdend. 

 

Auch der brillante Erzähler Daniel Kehlmann macht es dem Theater immer schwerer, je länger der Abend dauert. Sätze, die im Buch über 17 Zeilen gehen, kann man schwer nur mit den Ohren fassen. Kehlmanns kunstvoll-ironisches Spiel mit den Perspektiven — und seine ausgeprägte Liebe zum Konjunktiv — lassen sich eigentlich nicht auf der Bühne umsetzen. Der subtile Humor des Texts bleibt fast ganz auf der Strecke, wenn in gleichbleibendem Höchsttempo Text Text Text abgeliefert wird.

 

Vielleicht war der Erfolgsroman »Tyll« nicht die richtige Wahl für die Bühne. Die Kölner Aufführung kann dem Kopfkino, das sich beim Lesen einstellt, jedenfalls nur selten standhalten. 

 

 

»Tyll« nach Daniel Kehlmann, R: Stefan Bachmann, 29., 30.9., 11., 14., 20.10. (verschiedene Anfangszeiten), -Schauspiel Köln, Depot 1