Doppelte Geiselnahme

Rechte Trolle und die CDU schlachten das Attentat am Hauptbahnhof für ihre Zwecke aus

 

 

»Köln entging einer Katastrophe« — das ist die Titelzeile einer Tageszeitung, die seit ein paar Wochen auf meinem Schreibtisch liegt. Daran können Sie sich gar nicht erinnern? Okay, es ging auch nicht um ganz Köln, sondern um den McDonald’s am Breslauer Platz. Jetzt sollte es klingeln. Mitte Oktober wollte dort ein 55-jäh-riger Mann mehrere Molotow-Cocktails sowie einen Sprengsatz mit Stahlkugeln zünden. Doch glücklicherweise explodierte der Sprengsatz nicht, und nur eine junge Frau wurde durch einen Molotow-Cocktail verletzt. Der 55-Jährige nahm daraufhin in der Apotheke eine Geisel, die von der Polizei befreit wurde. Der Täter wurde bei der Aktion niedergeschossen, seitdem liegt er im Koma und kann nicht vernommen werden.

 

Dass die Kölner Medien anschließend sämtliche Bekannten des Täters, vom Nachbarn bis zum Besitzer seines Stammbüdchens in Neu-Ehrenfeld befragt haben, um vor allem Irrelevantes (»sehr verpeilt, aber stets respektvoll und nett«) erzählt zu bekommen — geschenkt. So läuft das halt, wenn das Interesse groß und Information knapp ist. Auch an die Twitter-Nutzer mit rotem »x« im Pseudonym und einer Gab.ai-URL in der Twitter-Bio sollte man nicht allzuviele Gedanken verschwenden. Sie wussten schon während des laufenden Polizeieinsatzes über die Motive des 55-jährigen Geflüchteten Bescheid und werden das auch zukünftig immer schon voher gewusst haben.  

 

Grund zur Sorge bereitet dagegen, wie die CDU mit der gleichen Chuzpe das gescheiterte Attentat für ihre Zwecke ausgeschlachtet hat. Der Kölner CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Kehrl stellte sich kurz nach der Geiselnahme auf den Breslauer Platz und sprach in die Kamera seines Social-Media-Menschen: »Wir bringen ein neues Polizeigesetz in NRW auf den Weg, das genau solche Gefährder auch im Auge hat.« Man brauche bessere Instrumente, um »dieser Leute habhaft zu werden und Attentate im Vorfeld zu verhindern.« Aber auch Kehrl, der die Medien auch schon mal für »mehrheitlich linksgrün« hält, hatte die Rechnung ohne die Fakten gemacht. Denn das Innenministerium seines Parteikollegen Herbert Reul hatte den Täter schon vor der Tat zweimal im Visier gehabt und zwar als psychisch labil eingestuft, aber eben nicht als potenziellen Terroristen. Auch der Generalbundesanwalt sieht es so. Für Fake News braucht man halt doch keinen Trump — sondern nur einen CDU-Hinterbänkler mit Facebook-Account.