Vorfreude auf Silvester: Die Ruhe trügt, Foto: Marilena Piesker

Hinterm Ikea-Parkplatz links

N 50°59’27.052“, E 6°53’37.133“ — so lautete meine Wegbeschreibung zur Silvesterparty. Die Koordinaten, die mir mit Hilfe eines E-Mail-Verteilers zugesandt wurden, sollten mich zu dem geheimen Veranstaltungsort führen. Irgendwo an den Rand eines Industriegebietes. Mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass das auch eine Falle sein könnte, machte ich mich mit einem Bier in der Hand und mulmigem Gefühl auf den Weg. Nach halbstündiger Bahnfahrt fand ich mich inmitten riesiger Industriehallen wieder. Vor mir die wohlbekannten blauen Umrisse eines schwedischen Möbelherstellers. Mit schnellen Schritten überquerte ich seinen Parkplatz, passierte eine Autobahnabfahrt und kletterte über eine Leitplanke und fand mich an einer kleinen, bewaldeten Senke wieder.

 

Ein Schild mit dem Titel »Absturz- und Lebensgefahr« warnte mich noch, konnte mich als wagemutige Jahreswechslerin aber nicht entmutigen. Und so kletterte ich in völliger Dunkelheit eine steil herabfallende Böschung, die tatsächlich so aussah als hätte sie bereits mehrere Arm- und Beinbrüche gefordert, herunter. Was mich unten angekommen erwartete, war unglaublich. Der kurze Weg durch einen Wald, der über eine von Hand in die Erde gehauene Treppe herunterführte, brachte mich direkt auf eine verwunschen anmutende Lichtung. Die Tanzfläche — derart bunt geschmückt, dass sie so einigen bekannten Festivals ernsthaft Konkurrenz gemacht hätte — befand sich bereits voller zuckender Körper, die sich alle dem DJ-Pult in rhythmischer Ekstase zugeneigt wandten.

 

Einige Wodka Mate später war ich Teil der fröhlichen Masse, die abseits vom Üblichen das neue Jahr begrüßten. Selbst der Hunger, der nach stundenlangem Tanzen aufkam, konnte mit veganen Rote Beete Burgern gestillt werden. Ein verlassener Oldtimer stand dort unten am See. Es wird wohl ein Rätsel bleiben, wie die Veranstalter es geschafft hatten, all dies diesen Todeshang herab zu transportieren. Nichts ist unmöglich — genau das scheint die Botschaft dieser Silvesterparty zu sein. Ich fühlte mich wie in einer mystischen Parallelwelt, die nur wenige Meter hinter dem großen blauen Möbelhaus aus Schweden bestand. Ich erlebte ein paar wundervolle Stunden, bis um kurz nach drei Uhr wie durch Zufall eine Polizeistreife das insbesondere in dieser Nacht sehr verlassene Industriegebiet durchkreuzte. Abrupt verstummten die elektronischen Klänge. Die Veranstaltung wurde aufgelöst und die kleine Menge strömte zurück gen Innenstadt.

 

Ob Kollektiv 22, Elfenparty oder Café Gysel*, es war ein Risiko, das alle gerne zu tragen schienen, und so verbreiten sich ihre Veranstaltungen weiterhin durch E-Mails, Mund-zu-Mund oder ominöse Facebookgruppen. Bis zur nächsten Silvesterparty.

 

 

Ort: Unbekannt. — Zeit: Früh. Und nur so lange es die Polizei erlaubt.

 

 

 

*Namen von der Redaktion geändert.