Die Königsdisziplin

Kölner Firmen koproduzieren Filme auf der ganzen Welt — mit Erfolg

Ein syrischer Flüchtling entwickelt übernatürliche Kräfte, nachdem er bei seinem Grenzübertritt nach Ungarn angeschossen wird. Zwei ältere Damen müssen in Paraguay ihre Möbel verkaufen, um sich über Wasser zu halten. In den USA der 70er Jahre metzelt ein Serienkiller Frauen ab.

 

So könnte man die Geschichten dreier Filme zusammenfassen, die in den nächsten Wochen in Deutschland ins Kino kommen, nachdem sie international bereits für Aufmerksamkeit gesorgt haben. »Jupiter’s Moon« des ungarischen Theater- und Filmregisseurs Kornél Mundruczó feierte sein Debüt 2017 im Wettbewerb von Cannes. »Die Erbinnen«, der Debütfilm des Paraguayers Marcelo Martinessi, lief im Wettbewerb der Berlinale, gewann dort zwei Silberne Bären und in der Folge um die zwanzig weitere internationale Preise. »The House That Jack Built«, Lars von Triers Serienkiller-Essayfilm, hat es dieses Jahr nach Cannes geschafft — und wurde dort sehr kontrovers diskutiert.

 

Unterschiedlicher könnten die Filme kaum sein, was sie gemeinsam haben, erschließt sich erst, wenn man bei den Abspännen genau hinguckt: An allen drei Filmen waren Kölner Produktionsfirmen beteiligt. Ungewöhnlich ist daran nur, dass sie gerade so geballt ins Kino kommen: Der Filmstandort NRW mit seinem Zentrum Köln feiert schon seit einigen Jahren auf internationalen Festivals Erfolge — was sich im günstigsten Fall auch in Verkäufe übersetzt. Der Low-Budget-Film »Die Erbinnen« etwa wird in mehr als dreißig Ländern in die Kinos kommen. 

 

 

Allerdings sieht man den Filmen die Kölner Beteiligung nicht direkt an, was wurde also konkret hier gemacht? Mit Debütfilmer Martinessi habe er viel am Drehbuch gearbeitet, erklärt Christoph Friedel von Pandora Film auf Nachfrage. Es ging um Dramaturgie und darum, die universelle Dimension der paraguayischen Geschichte herauszuarbeiten. Er war schon früh in das Projekt involviert, die erste Drehbuchfassung hat er bei einem Workshop in Uruguay kennengelernt, wo er unterrichtet hatte. Pandora ist eine Art Pionier im Geschäft der internationalen Koproduktionen — nicht nur in Köln, sondern in ganz Deutschland. Schon Mitte der 90er Jahre begann die als Verleih gestartete Firma mit Filmen wie Emir Kusturicas »Underground«, sich international zu engagieren. »Die Erbinnen« ist ein kleines Projekt mit großer Wirkung für Pandora, die im kommenden Jahr mit Claire Denis’ »High Life« auch ein fast komplett in Köln gedrehtes internationales Prestigeprojekt mit Starbesetzung in die Kinos bringen werden.

 

Die 2003 gegründete Firma Heimatfilm ist ebenfalls in diesem Bereich aktiv. Firmengründerin Bettina Brokemper leitete bereits seit 2001 die Kölner Dependence der dänischen Firma Zentropa, die von Lars von Trier mitbegründet wurde. Dessen Filme waren in der Folge fast alles Koproduktionen mit Beteiligung von Heimatfilm. Nachdem »Antichrist« und »Nymphomaniac« zu großen Teilen auch in NRW gedreht wurden, lag die Kölner Beteiligung bei »The House That Jack Built« vor allem im Bereich Crew, Technik und Postproduktion. Kölner Filmschaffende gehören mittlerweile zur »Filmfamilie« von Triers, wie Brokemper erklärt, darunter der Tonmann Andreas Hildebrandt und Maskenbildnerin Astrid Weber.

 

Ein noch relativ junger Zugang bei den Kölner Produktionsfirmen mit internationalen Ambitionen
ist Match Factory Productions, die vor fünf Jahren gegründet wurden und unter anderem Apichatpong Weerasethakuls »Cemetery of Splendour« mitproduziert haben. Für »Jupiter’s Moon« wurde ein Teil der aufwändigen Requisiten in NRW gebaut, Kameratechnik bereitgestellt und ein Teil der Postproduktion fand hier statt. Das besondere an Match Factory Productions ist, dass sie eine Gründung des -Kölner Weltvertriebs Match Factory sind. Eine logische Erweiterung, wie die Produzentin Viola Fügen erklärt: »So kann man die Kreativen schon frühzeitig an die Firma binden, was zunehmend wichtig ist.« Laut Fügen hat sich durch den Markteintritt der Streamingdienste der Wettbewerb um Topleute verschärft. Außerdem lobt sie, wie auch Brokemper und Friedel, die für Koproduktionen offene Förderung der Film- und Medienstiftung NRW. In Bayern oder Baden-Württemberg sei das ganz anders. 2016 haben die Düsseldorfer insgesamt 28 internationale Koproduktionen gefördert, das waren rund 40 Prozent aller unterstützten Kinoprojekte.

 

Dass in Köln so viele wichtige Produktionsfirmen sitzen, hat natürlich damit zu tun, dass die Filmstiftung zu den finanzkräftigsten Förderungen in Europa gehört —  und jede Förderung an den Standort gebunden ist. Die Kreativen sind da wesentlich ortsunabhängiger. Doch den Verdacht, dass den Kölner Produzenten nicht viel anderes übrig bleibt, als in die Ferne zu schweifen, weil es hier — anders als in Berlin — an international erfolgreichen Kreativen fehlt, will Bettina Brokemper nicht gelten lassen: »So viele aus internationaler Sicht große Regienamen gibt es in Deutschland ja sowieso nicht, und bei Kamera, Kostüm, Maske und in fast allen Technikbereichen haben wir hier Topleute«. Als das Medienland NRW in den 90er Jahren noch in den Anfängen steckte, hätten internationale Koproduktionen dafür gesorgt, dass Know-
how ins Land gekommen sei, so Brokemper, heute sei es eher umgekehrt. Was nicht heiße, dass man nicht mehr profitiere: »Koproduktionen sind die Königsdisziplin, nicht nur logistisch. Man taucht in andere Kulturen mit einer Intensität ein, die es sonst nicht gibt. Vor allem lernt man, dass es nicht nur einen Weg gibt, Sachen zu machen.«